Stefan Schubert

»America First« – eigentlich nichts Neues!

Man fragt sich, wie die sogenannten Qualitätsmedien ohne einen Präsidenten Trump ihre Zeitungen füllen würden. Würden sie etwa über tatsächliche Probleme im Land berichten oder Hintergrundartikel publizieren, ohne dabei ihre Leser zu bevormunden und ihnen zu diktieren, was sie zu denken und zu wählen haben? Dieses Szenario dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit wohl ausgeschlossen sein.

Trump hat getwittert, Trump hat Golf gespielt, Trump schaut lieber Nachrichtensendungen im TV, als Zeitungen zu lesen, und Melania Trump hatte mal wieder keinen Bock aufs Händchenhalten. Diese Meldungen stammen nicht aus einem Boulevard-Magazin bei RTL, sondern dienten großen Medienhäusern als Aufmacher. Natürlich werden auch in den öffentlich-rechtlichen »Nachrichtensendungen« diese Meldungen an prominenter Stelle gesendet. Ganz besonders auf Trumps Vision eines »America First« hat sich der Mainstream hierzulande eingeschossen. Im Eifer ihrer tendenziösen Berichterstattung haben die Journalisten dabei doch glatt vergessen, ihren noch verbliebenen Lesern zu erläutern, dass »America First« keine Erfindung von Donald Trump ist, sondern bereits seit 100 Jahren das Handeln amerikanischer Präsidenten bestimmt.

US-Präsident Woodrow Wilson wählte diesen Slogan, um während des Ersten Weltkriegs 1915 seine Kampagne einer geregelten und Amerika nutzenden Einwanderung zu verbreiten. In den 1930er-Jahren bediente sich der US-Medienbaron William Randolph Hearst dieses Slogans für eine politische Medienkampagne. Und Fliegerass und Atlantiküberquerer Charles Lindbergh war Sprecher des »America First Committe« (AFC), einer Organisation mit 800 000 Mitgliedern, die einen Kriegseintritt Amerikas verhindern wollte. Einige Tage nach dem Angriff auf Pearl Harbor löste sich die einflussreiche Organisation auf, Amerika trat in den Weltkrieg ein und zündete zwei Atombomben gegen Zivilisten. Weitere bekannte Mitglieder des AFC waren der spätere Präsident Gerald Ford, der Filmproduzent Walt Disney sowie der Automobilhersteller Henry Ford.

Doch es ist gar nicht notwendig, weit in die Geschichte zurückzukehren, um »America First« als jahrzehntelange Regierungsdoktrin zu begreifen. Selbst Bücher wurden darüber schon frühzeitig veröffentlicht. Das interessanteste ist der in erschreckender Offenheit geschriebene Bestseller Die einzige Weltmacht Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Der Autor, Zbigniew Brzeziński, war ein Politikwissenschaftler und Berater der US-Präsidenten Lyndon B. Johnson und Jimmy Carter. Zudem war Brzeziński Professor für US-Außenpolitik an der School of Advanced International Studies (SAIS) und der Johns Hopkins University in Washington sowie Berater am Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS). Weitere Professuren, Ehrentitel und Mitgliedschaften in Denkfabriken wie dem Atlantic Council würden eine separate Seite füllen. Auch war er Teilnehmer an der Münchner Sicherheitskonferenz.

Deutschland als Schlachtfeld

Als Schachbrett, wo sich die Vorherrschaft der einzigen und letzten Weltmacht, so Brzeziński, entscheiden wird, nennt er Eurasien. Einzig aus diesem Raum, der zwischen Lissabon und Wladiwostok liegt, drohe ein geopolitischer Rivale um die Weltmacht zu entstehen. Auf das Jahr 2018 bezogen, sind lediglich drei Länder in der Lage, eine ernsthafte Gefahr für die amerikanische Dominanz darzustellen: Russland, China und mit großen Abstrichen Deutschland. Dafür verfügt Deutschland über keinerlei eigene außenpolitische Interessenspolitik, und der Zustand der Bundeswehr ist beschämend. Diese aktuellen Hindernisse stellen aber keine unüberwindbaren Barrieren dar. Nichts, was die wirtschaftliche Großmacht und wichtigste politische Kraft Europas nicht ändern könnte, vorausgesetzt, in Berlin würde ein Politikwechsel angestrebt.

Bei Brzeziński heißt es dazu im Buch: »Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird — und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann.«

»America First« – mit freundlicher Unterstützung der NATO

Seinen Weltmachtstatus verdankt Amerika, nach Brzeziński, der weltweiten Militärpräsenz, der wirtschaftlichen Macht, dem technologischen Vorsprung und der breiten Begeisterung für den American Way of Life. Um diese Vormachtstellung zu sichern, wird die NATO ganz offen als Organisation mit Einfluss auf innereuropäische Angelegenheiten genutzt, um so auch die geopolitische Vorherrschaft über Europa auszuüben. Auf wie vielen unterschiedlichen Ebenen knallharte Machtpolitik betrieben wird, enthüllt der Präsidentenberater auf Seite 45: »Offiziell vertreten der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank globale Interessen und tragen weltweit Verantwortung. In Wirklichkeit werden sie jedoch von den USA dominiert …«

Atombomben auf Dresden und Potsdam

Auch für das von deutschen Politikern vorangetriebene Konstrukt der Vereinigten Staaten von Europa hat Brzeziński mehr Spott als Begeisterung übrig. Während Frankreich hofft, dadurch eine Wiedergeburt vergangener Größe zu erlangen (bezahlt vom deutschen Steuerzahler), versprechen sich Deutschlands Politiker die große Erlösung. Auf Seite 82 schreibt Brzeziński: »Deutschland versteht sein glühendes Eintreten für Europa als historische Reinigung, als Wiederherstellung seiner moralischen und politischen Reputation. Indem es sich mit Europa versöhnt, stellt Deutschland seine Größe wieder her, während es zugleich eine Mission übernimmt, die nicht automatisch europäische Ressentiments und Ängste gegen die Deutschen mobilisiert.« Die ständige Ausweitung der EU und der NATO wurde nach Brzeziński von den Amerikanern forciert, um den eigenen Machteinfluss auszudehnen und gleichzeitig eine russische Vorherrschaft in Eurasien zu verhindern. Unter diesen Gesichtspunkten wurde auch der Ukraine-Konflikt befeuert. Die Ukraine ist mit über 600 000 Quadratkilometern der größte Staat Europas und besitzt mit seiner zentralen Lage in Eurasien und am Schwarzen Meer eine geopolitische Ausnahmestellung.

Doch die uneingeschränkte Vasallentreue der Berliner Regierungen bedeutet nicht, dass Deutschland nicht jederzeit auf dem Schachbrett der Amerikaner geopfert werden könnte. Der ehemalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Willy Wimmer, machte diesbezüglich Einzelheiten der NATO Übung WINTEX öffentlich. Allein auf deutscher Seite waren an diesen Kriegsspielen bis zu 1500 Bundesbedienstete beteiligt, die hinter dicken Regierungsbunkern sitzend einen Krieg gegen Russland simulierten.

Im Verlauf der Großübung ordnete das Brüsseler NATO-Hauptquartier den Einsatz von Atombomben auf Dresden und Potsdam an, um so den Vormarsch der Russen zu stoppen oder wenigstens zu verlangsamen. Staatssekretär Wimmer lehnte den Einsatz von NATO-Atombomben auf deutschem Boden ab und konnte Bundeskanzler Kohl davon überzeugen, die Übung zu verlassen. Die Übung als Ganzes wurde jedoch nicht gestoppt.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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