Max Lindauer

Die Märchenstunde der Euro-Retter

Aufatmen in der EU: Spaniens Finanzen sind so weit saniert, dass sich das Land sogar wieder eine sozialistische Regierung leisten kann, und Griechenlands linker Premier Tsipras trägt wieder Krawatte – als Zeichen dafür, dass sein Land die Krise überwunden hat. Alles Theater. Ein Blick hinter die Kulissen.

Voraussichtlich Ende Mai nächsten Jahres wählen die Bürger in den Staaten der EU ein neues Europäisches Parlament. Dieses Mal vermutlich ohne Beteiligung der Briten, die sich in der Brexit-Abstimmung im Juni 2016 für einen Austritt aus der EU ausgesprochen haben. Nach Finanz-, Euro- und Migrantenfiasko fürchten die etablierten Parteien diese Abstimmung – und zwar aus gutem Grund. Wird die Wahlbeteiligung, die beim letzten EU-weiten Urnengang gerade einmal bei 43,09 Prozent lag (gegenüber fast 62 Prozent im Jahr 1979), weiter sinken? Werden jene Parteien an Stimmen gewinnen, die der Mainstream als »rechtspopulistisch« diffamiert? Beides erscheint aus heutiger Sicht ziemlich wahrscheinlich.

Da kommen ein paar vermeintlich gute Nachrichten wie gerufen, um die Stimmungslage der Europäer wieder aufzuhellen. So erzählt man den Bürgern aktuell das Märchen von der gelungenen Rettung der einst akut bedrohten Euro-Staaten, allen voran Griechenland. Wie positiv klangen plötzlich die Nachrichten aus dem Land der Hellenen.

Mit Wirkung zum 20. August wird Griechenland aus dem sogenannten Stabilitätshilfeprogramm entlassen. Im dritten Hilfsprogramm hatten die »Euro-Retter« dem Land noch einmal bis zu 86 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. In diesem Rahmen erhält das Mittelmeerland jetzt eine Abschlusszahlung von rund 15 Milliarden Euro. Insgesamt kostete die angebliche »Griechenland-Rettung« seit 2010 über 280 Milliarden Euro, exklusive Abschlusszahlung.

»Stabiler Ausblick«?

Sofort setzten die Ratingagenturen die Bonität Griechenlands nach vielen Jahren wieder herauf. Standard & Poor’s zum Beispiel hob die Bonitätsnote des Landes auf B+ an und bescheinigte dem Land, das seit 2010 mit internationalen Krediten vor der Pleite gerettet werden musste, einen »stabilen Ausblick«. Und prompt erfüllte sogar Premierminister Tsipras sein Versprechen und trug eine rote Krawatte. Nach seiner Amtsübernahme im Jahr 2015 hatte der Linkspolitiker angekündigt, erst dann einen Schlips zu tragen, wenn sein Land die Krise überwunden habe. Das angeblich sanierte Griechenland könne fortan wieder auf dem freien Kapitalmarkt Schulden machen, heißt es.

Doch die EU-Verantwortlichen scheinen ihrer eigenen Propaganda nicht zu trauen. Immerhin kündigte Brüssel gleichzeitig an, Griechenland ab Ende August »verstärkt zu überwachen«. Und dafür gibt es gute Gründe. Denn der in Luxemburg erzielte Schuldendeal mit seinen »Schuldenerleichterungen« für Griechenland hat vor allem eines bewirkt: Die Probleme sowie der irgendwann unvermeidliche Schuldenschnitt wurden einmal mehr vertagt und die Fälligkeit der griechischen Schulden buchstäblich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Tatsächlich sind die Staatsschulden des Landes mit rund 317 Milliarden Euro nahezu doppelt so groß wie die Wirtschaftsleistung Griechenlands. Und nach wie vor ist rund jeder fünfte Grieche arbeitslos.

Schäubles Griechenland-Lüge

Ebenfalls kaum thematisiert wird die dreiste Art und Weise, wie seinerzeit der damalige Bundesfinanzminister Schäuble die Bürger und die Abgeordneten hinters Licht geführt hat. Er und die Bundesregierung behaupteten, am dritten Rettungspaket werde sich der Internationale Währungsfonds finanziell beteiligen. Dies war die Voraussetzung für die Zustimmung des Bundestags. Bislang ist diese IWF-Beteiligung nicht erfolgt; vermutlich, weil der Währungsfonds fürchtete, auf seinen Forderungen nach einem irgendwann anstehenden Schuldenschnitt sitzen zu bleiben. »Schäubles Griechenland-Lüge fliegt auf«, meldete jetzt sogar der an sich sehr systemkonforme Sender n-tv.

Aber nicht nur aus Athen vernahmen die erstaunten Europäer Jubelnachrichten. Vor allem die Spanier wurden den Zahlmeistern aus dem Norden als wahre Musterknaben vorgestellt. Offiziell hat Madrid im vergangenen Jahr erstmals seit einer Reihe von Jahren wieder die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbarte Defizitgrenze von drei Prozent des BIP fast eingehalten (zur Erinnerung: 2009 lag das Defizit bei rund elf Prozent des BIP).

So gut geht es Spanien anscheinend, dass die neue sozialistische Regierung bereits darüber nachdenkt, die Staatsausgaben wieder zu erhöhen. Ökonomen warnen vor dem Trugschluss, Spanien habe in den vergangenen Jahren die Staatsfinanzen tatsächlich stabilisiert. Dass 2017 die Defizitgrenze beinahe wieder eingehalten worden wäre, ist vor allem zwei Tatsachen geschuldet: Erstens verzeichnete die spanische Wirtschaft in den letzten Jahren ein starkes Wachstum mit der Folge steigender Steuereinnahmen. Auch die Immobilienpreise explodierten wieder, was ebenfalls zu hohen Steuereinnahmen führte.

Und zweitens profitierte Spanien natürlich von der Nullzinspolitik der EZB und ihrem Anleihekaufprogramm. Bereinigt man die Statistik um diese Sonderfaktoren, hätte das Defizit im vergangenen Jahr wohl bei mindestens sechs Prozent des BIP gelegen. Es dürfte sich beschleunigen, wenn die sozialistische Regierung ihre volksbeglückenden Vorhaben umsetzt.

Target II – die Zeitbombe

Mit Sorge beobachten Ökonomen schließlich die zunehmenden Spannungen im Eurosystem. Italien hat im Saldensystem der Eurozone (Target II) Verbindlichkeiten von rund 465 Milliarden Euro aufgebaut, gefolgt von Spanien mit knapp 400 Milliarden. Parallel dazu stiegen die deutschen Forderungen auf beinahe eine Billion Euro. Ein Austritt Italiens aus dem Eurosystem (Itexit) käme für die Deutsche Bundesbank wohl einer Katastrophe gleich, denn die verbleibenden Notenbanken müssten die Kapitalverluste der EZB tragen. Ohnehin ist die italienische Wirtschaft – trotz zaghafter Aufschwungsimpulse – äußerst fragil. Vor wenigen Tagen erst warnte Zentralbank- Präsident Ignazio Visco: »Wenn es eine neue Krise gibt, sind wir heute noch viel anfälliger als vor zehn Jahren.« Er hatte dabei vor allem die instabile Lage vieler Geldinstitute seines Landes im Auge.

Solche Nachrichten will man im Vorfeld der Europawahlen tunlichst zurückhalten. Stattdessen klopfen sich die angeblichen »Euro-Retter« einmal mehr gegenseitig auf die Schultern. Ob diese Inszenierung freilich bis zum Frühjahr 2019 aufgeführt werden kann, bleibt mehr als fraglich

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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