Peter Orzechowski

Kaspisches Meer – Frieden schaffen ohne Waffen

Fast totgeschwiegen von der westlichen Öffentlichkeit hat Russland einmal mehr gezeigt, wie man Probleme friedlich löst. Vor Kurzem einigten sich Russland, Iran, Kasachstan, Turkmenistan und Aserbaidschan, das größte Binnengewässer der Welt untereinander aufzuteilen: Das Kaspische Meer mit seinen Öl- und Gasvorräten soll gemeinsam erschlossen werden.

Der Gipfel in der kasachischen Hafenstadt Aqtau hatte eine nach Präsident Putin »außergewöhnliche, vielleicht sogar wirklich epochale Bedeutung«. Der dabei zustande gekommene Konsens der fünf Anrainerstaaten »verankert das ausschließliche Recht und die Verantwortung unserer Länder für das Schicksal des Kaspischen Meeres und etabliert klare Regeln für seine gemeinsame Nutzung«, sagte Putin bei dem Gipfeltreffen. »Der erzielte Erfolg, und das ist sicherlich ein Erfolg, ist durch ein hohes Maß an Vertrauen und gegenseitigem Verständnis zwischen den Führern der kaspischen Staaten, ihrer Bereitschaft, immer in der Logik des Respekts, der Partnerschaft und der Gleichheit möglich geworden«, sagte Putin laut TASS.

Die fünf Küstenstaaten des Kaspischen Meeres vereinbarten die Einrichtung einer 15-Meilen-Zone als Abgrenzung der jeweiligen Hoheitsgebiete. 10 Meilen über diese Hoheitsgewässer hinaus haben die jeweiligen Anrainerstaaten exklusive Fischereirechte. »Dieses Übereinkommen ist das Basisdokument, das 60 bis 70 Prozent aller Fragen hinsichtlich des Kaspischen Meeres regelt. Das reicht aus, um mit der Erschließung der Vorkommen, mit der Heranziehung von Investitionen und mit der Ausrichtung der Wirtschaft auf die Ressourcen des Kaspischen Meeres zu beginnen«, sagt der Iran-Experte Radschab Safarow gegenüber sputniknews.

Zudem ist in der Konvention festgehalten, dass nur Anrainerstaaten militärisch im Kaspischen Meer präsent sein dürften. »Wir halten es für wichtig, Partnerbeziehungen in der Marinesphäre zu entwickeln; vor allem regelmäßige gegenseitige Besuche der Schiffe zu organisieren und die Praxis der gemeinsamen Teilnahme der Schiffe und ihrer Besatzungen an verschiedenen Veranstaltungen zu fördern«, sagte Putin in Aqtau.

Schutz vor der NATO

Die Konvention garantiere »die Verwendung des Kaspischen Meeres ausschließlich für friedliche Zwecke und die Nichtanwesenheit von Streitkräften außerregionaler Mächte in diesem Meer«, so Putin weiter. Auf der anderen Seite »garantiert die geplante Ordnung für das Meer freie Handlungsspielräume bei der Entwicklung der Marine, des Verkehrs und bei Handlungen der russischen Kriegsschiffe im gemeinsamen Gewässer«, sagte der stellvertretende russische Außenminister Grigori Karassin. Das ist wichtig angesichts der an Bedeutung gewinnenden Rolle der Kaspischen Flottille. Zur Erinnerung: Kalibr-Schiffe der Flottille beschossen Ziele in Syrien. Demnächst soll sie von Astrachan nach Derbent — also näher an die Seegrenze — verlegt werden. Damit sind wohl auch die Pläne Kasachstans begraben, den USA und der NATO einen eigenen Hafen in Aqtau zum Gütertransit nach Afghanistan zur Verfügung zu stellen.

Natürlich weiß Putin auch von seinen westlichen Amtskollegen, wie man Militäraktionen rechtfertigt: mit dem Problem des Terrorismus. »In unmittelbarer Nähe des Kaspischen Meeres befinden sich Kriegsherde – im Nahen Osten und in Afghanistan. Daher erfordern die Interessen unserer Völker eine enge Zusammenarbeit«, so Putin. Es sei wichtig, fuhr der russische Staatschef fort, dass die fünf Staaten eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus und gegen die organisierte Kriminalität ausbauen. Dabei soll die Kooperation der Sicherheitsdienste und Grenzschutzbehörden der Staaten weiterentwickelt werden.

Iran ins Boot geholt

Nach dem Zerfall der Sowjetunion vor fast 3 Jahrzehnten hatte der Iran vorgeschlagen, das Kaspische Meer entweder in fünf gleich große Teile aufzuspalten oder seine gesamten Ressourcen gemeinsam zu entwickeln. Keiner der vier Ex-Sowjetstaaten war jedoch auf diese Vorschläge eingegangen. Umso überraschender war das Entgegenkommen des Irans beim Gipfel in Kasachstan. Denn der Iran lag mit dem benachbarten Aserbaidschan ständig im Streit über die Aufteilung der reichen Schelfvorkommen. Doch scheint der iranische Präsident Hassan Rohani mit Billigung von Ayatollah Ali Chamenei aufgrund der US-Sanktionen gegen den Iran bereit gewesen zu sein, über seinen Schatten zu springen.

Die Kompromiss-Formel, welche die Diplomaten mühselig gefunden haben, ist sehr originell: Das Kaspische Meer ist demnach weder ein Meer noch ein See. Laut Völkerrechtsnormen werden Meere und Seen nach verschiedenen Prinzipien aufgeteilt. Wenn es um einen grenzübergreifenden See geht (worauf der Iran bis zuletzt beharrte), dann könnten alle fünf Anrainer eine Aufteilung seiner Ressourcen zu gleichen Teilen fordern. Handelt es sich jedoch um ein Meer, dann gilt die UN-Seerechtskonvention – mit einem 12-Meilen-Gebiet für jedes Land und einem neutralen Gewässer in der Mitte. Der Status eines Meeres würde allerdings bedeuten, dass sich auch Streitkräfte anderer Staaten, zum Beispiel der USA, dort aufhalten können.

Es ist klar, warum der Iran die »Variante Meer« ablehnt – seine Küste am Kaspischen Meer ist gekrümmt, das souveräne Gebiet ist demnach viel kürzer als seine Ansprüche. Teheran beanspruchte bisher ein Fünftel des Gewässers und entsprechende Gas- und Ölvorkommen. 2001 kam es beinahe zu einem Krieg zwischen dem Iran und Aserbaidschan um ein Vorkommen. Kampfflugzeuge stiegen in den Himmel auf, es wurde das Feuer eröffnet. Damals wurde vereinbart, dass die Erschließung des Vorkommens einfach gestoppt wird. Zudem gab es einen heftigen Streit zwischen Aserbaidschan und Turkmenistan.

»Der Iran war nicht das einzige Land, das viele Ansprüche erhob. Turkmenistan tat dasselbe. Zudem gab es zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan auch ungelöste Fragen zu den Gasvorkommen des Kaspischen Meeres«, sagt die Orientalistin Karine Geworgjan laut sputniknews. Jetzt scheint eine Lösung gefunden worden zu sein. Das neue Konzept sieht vor, dass der Boden und das Gewässer zu verschiedenen Teilen aufgeteilt werden. Konkret heißt das: in ein territoriales Gewässer, ein Fischereigewässer der Teilnehmerstaaten und ein von allen nutzbares »gemeinsames Gewässer«.

Um die Streithähne zusammenzubringen, hat Putin Baku und Teheran eine gemeinsame Nutzung von Pipelines zum Transport von Öl und Gas aus dem Kaspischen Meer vorgeschlagen. Moskau ist bereit, über diese Frage zu diskutieren, erklärte Putin in Baku bei einem Treffen mit den Präsidenten Aserbaidschans und des Irans, Ilham Aliyev und Hassan Rohani. »Russland, der Iran und Aserbaidschan könnten die Umsetzung neuer Energie- und Transportprojekte in der Region erörtern …«

Mittwoch, 22.08.2018

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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