Michael Grandt

Lebensversicherungen: Das Märchen vom Garantiezins

Millionen Versicherungsnehmer irren: Der »Garantiezins« ist nicht das, für was sie ihn halten. Die Menschen glauben bis heute, die Verzinsung gelte für ihre gesamten Beiträge. Doch das ist ein fataler Irrtum.

Der Garantiezins war das Marketinginstrument, mit dem die Assekuranz Lebensversicherungspolicen in der Vergangenheit verkauft hatte. Doch den »Garantiezins« gibt es so nicht. Denn die korrekte Bezeichnung lautet »Höchstrechnungszins«. Aber da diese Bezeichnung weder marketingtechnisch perfekt ist noch in den Köpfen der Menschen hängen bleibt, spricht man stattdessen vom »Garantiezins« und suggeriert völlig falsche Tatsachen.

Falsch deshalb, weil der Höchstrechnungszins den Zinssatz festlegt, den Versicherungen für ihre Deckungsrückstellungen maximal zugrunde legen dürfen – nicht müssen! Der Höchstrechnungszins wird für Lebens- und private Krankenversicherungen festgelegt und kann unterschiedlich sein. Seit 1994 fällt die Höhe des Garantiezinses und beträgt seit 2017 erstmalig unter 1 Prozent, was nachfolgende Tabelle belegt: Die vereinbarte Garantieverzinsung beim Abschluss der Lebensversicherung bleibt über die gesamte Laufzeit bestehen. Doch seit 18 Jahren geht es mit dem beim Abschluss vereinbarten Zinssatz rapide bergab. Die Differenz zwischen der gewährten Garantie im Jahre 2000 und dem Zins 2018 beträgt bereits 3,1 Prozent. Über 3 Prozent, die der Kunde aktuell weniger erhält als noch vor ein paar Jahren.

Doch Millionen Menschen haben noch alte Lebensversicherungspolicen mit einem »hohen« Garantiezins. Während aktuell nur noch 0,9 Prozent bezahlt werden, gibt es ältere Verträge, bei denen noch bis zu 4 Prozent zu Buche schlagen können. Heute ist der Garantiezins kein Verkaufsargument mehr. Aber damals lockte man viele Versicherungsnehmer mit einer hohen Verzinsung ihrer Beiträge. Die Menschen glaubten und glauben bis heute, dass diese Verzinsung auf ihre gesamten Beiträge gilt. Doch das ist ein Irrtum.

Der »Garantiezins-Trick«

Nur wenige Kunden dürften schon vom »Garantiezins-Trick« gehört haben. Was verbirgt sich dahinter? Der Garantiezins gilt nicht für den gesamten Betrag, den der Kunde monatlich, viertel- oder halbjährlich einbezahlt. Er wird vielmehr nur auf den um die Kosten geminderten sogenannten »Sparanteil« gewährt.

Man sieht an diesem Beispiel schon, dass der Garantiezins nicht für den gesamten Versicherungsbeitrag gilt. Hinzu kommt, dass es zwischen den einzelnen Versicherungen erhebliche Unterschiede gibt. Doch das verschweigen die »Berater« vor dem Abschluss einer Police geflissentlich. Aber es kommt noch schlimmer: Wenn der Kunde nämlich eine Dynamik vereinbart hat, steigen die Gesamtkosten sogar noch, da sich die Versicherungssumme ständig erhöht. Was man dem Kunden vielleicht noch sagt, ist, dass die Abschlusskosten durch das sogenannte »Zillmer-Verfahren« verteilt werden. Doch die meisten »Berater« verzichten ganz bewusst darauf, dies genauer zu erklären; entweder, weil sie selbst nicht so genau Bescheid wissen, oder weil sie keinen »Negativ-Verkauf« tätigen wollen, indem sie Nachteile aufzählen, was den Abschluss unwahrscheinlicher macht.

Das »Zillmer-Verfahren« wurde nach dem Versicherungsmathematiker August Zillmer (1831–1893) benannt. Die Abschlusskosten bestehen vor allem in der Risikoprüfung und in der Abschlussprovision für den Versicherungsvermittler beziehungsweise die Versicherungsgesellschaft. Durch das Zillmer-Verfahren werden diese Kosten verteilt und sind daher nicht in einer Summe zu zahlen.

Abschlusskosten werden gestreckt

Im Rahmen der Zillmerung werden die Abschlusskosten demnach als Zuschlag mit eingerechnet und auf diese Weise über einen Zeitraum von vielen Jahren »gestreckt«. Kritiker dieses Verfahrens geben zu bedenken, dass durch die Zillmerung der Rückkaufswert der Kapitallebensversicherung besonders in den ersten Jahren nach Abschluss des Vertrages sehr gering ist. Das bedeutet für den Kunden: Je höher die Kosten, desto niedriger ist der Sparanteil, der dann auch verzinst wird. Kunden sollten daher unbedingt das berühmt-berüchtigte Kleingedruckte in der Police lesen oder von ihren Versicherern Auskunft darüber verlangen, wie sich die Kosten im Einzelnen zusammensetzen. Allerdings sollte man eine bestehende Police nicht vorschnell kündigen. In diesem Fall bekommt der Kunde nur einen Teil der eingezahlten Beiträge zurück.

Der Garantiezins vor dem Aus

Vonseiten der Versicherungswirtschaft gibt es bereits Überlegungen, den klassischen Garantiezins durch andere Modelle zu ersetzen. Hier einige Beispiele:

  • Den Garantiezins nicht mehr über die gesamte Laufzeit bezahlen, sondern zeitlich befristen.
  • Den Garantiezins alle paar Jahre dem Marktumfeld anpassen.
  • Den Garantiezins an die Inflationsrate koppeln.
  • Nur noch eine Komplettsumme am Laufzeitende garantieren.
  • Lebensversicherungen mit Deckungsstockgarantie nicht mehr anbieten.

Manche dieser Vorschläge sind bei verschiedenen Versicherungen bereits verwirklicht worden. Ob es den Garantiezins, wie wir ihn kennen, in Zukunft überhaupt noch geben wird, ist fraglich. Denn auch seine vollständige Abschaffung ist kein Tabu mehr.

Sonntag, 26.08.2018

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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