Peter Orzechowski

Libyen – Migrantenstadl und Öldorado

Endlich scheint die EU zur Vernunft gekommen zu sein: Migranten will man in Aufnahmezentren außerhalb der EU erfassen und dort auch über ihren Asylantrag entscheiden. Diese »regionalen Ausschiffungsplattformen« sollen »auf freiwilliger Basis« in Drittstaaten eingerichtet werden. Und weil sogar Seehofer diese Idee »wirkungsgleich« findet, kann der Bürger ja beruhigt sein. Geht es wirklich um die Migranten aus Afrika?

Zwischen 700 000 und einer Million Migranten halten sich in Libyen auf – so berichtet die Internationale Organisation für Migration (IOM). Italiens Innenminister Matteo Salvini brachte kürzlich bei einem Besuch in Tripolis »Aufnahmezentren jenseits der südlichen Grenze Libyens« ins Spiel. Der libysche Vize-Ministerpräsident Ahmed Meitik konterte sofort: Sein Land lehne »die Einrichtung von Migrantenlagern in Libyen kategorisch« ab. Stolze Worte, doch sie haben kein Gewicht: Die international unterstützte Regierung der nationalen Einheit, der Meitik angehört, regiert das Land gar nicht. Das tun vielmehr unterschiedliche Milizen – im Osten beispielsweise die Truppen des Generals Chalifa Haftar. Der hat Italiens Vorschlag durchschaut und offengelegt: Es dürfe »unter dem Vorwand des Kampfes gegen illegale Migration« keine »ausländische Militärpräsenz« im Süden des Landes geben.

Der Krieg um das libysche Öl

Warum will Haftar keine ausländischen Truppen im Land? Weil die Militärpräsenz Italiens oder auch der USA beiden Ländern strategische Vorteile bringen würde im längst begonnenen Krieg um das libysche Öl. Seit Wochen tobt schon ein Kampf um die Ölterminals Ras Lanuf und Sidra im sogenannten Erdöl-Halbmond im Nordosten des Landes – zwei der wichtigsten libyschen Ölexporthäfen, die von der libyschen National Oil Company (NOC) genutzt wurden. Die NOC schätzt, durch die Kämpfe seien Verluste »im zweistelligen Milliardenbereich« entstanden. Bereits 2013 hatten Kämpfer die Terminals erobert, was zu einer dreijährigen Aussetzung des Ölexports führte. Erst nach der Einnahme der Terminals durch die selbsternannte Libysche Nationale Armee (LNA) unter Haftar im Jahr 2016 kam es zur Wiederaufnahme des Ölexports.

Die Vertreter der libyschen Gegenregierung, die ihren Sitz im östlichen Tobruk hat und von Haftar kontrolliert wird, glauben, dass der Angriff auf die Öl-Halbmond-Region von ausländischen Geheimdiensten geplant wurde. Italien, Katar und die Türkei hätten den Angriff auf die Region dirigiert. Die drei Staaten hätten in der Region gemeinsame energiepolitische Interessen. Und die sind auch gegen Russland, das General Haftar unterstützt, gerichtet.

Stellvertreterkrieg in Libyen

Sogar der Neocon-US-Informationsdienst Stratfor räumt ein, dass es beim Stellvertreterkrieg in Libyen um die Kontrolle der Ölfelder und Pipelinerouten geht. In der Tat tummeln sich im Chaos des zerrissenen Landes Energiekonzerne aus aller Herren Länder: ENI (Italien), Total SA (Frankreich), Repsol YPF (Spanien), Waha Oil Co. (ein US-Joint Venture), BP (Großbritannien), ExxonMobil (USA), Statoil (Norwegen), Royal Dutch/Shell (Niederlande/Großbritannien), Gazprom (Russland), Rosneft (Russland) und RWE (Deutschland).

General Haftar mischt dabei ganz vorne mit. Er präsentiert sich als Bollwerk gegen den gewalttätigen Extremismus. Tatsächlich ist in Libyen noch der Islamische Staat aktiv, andere Islamisten – wie die Muslim-Brüder – bilden mächtige Milizen und sind auch in der vom Westen unterstützten Regierung in Tripolis vertreten. Moskau hat Haftar und die LNA bisher mit umgerechnet drei Milliarden US-Dollar unterstützt und russische Techniker zur Erneuerung der alten sowjetischen Waffen der LNA entsandt. Im vergangenen Jahr sagte Haftar der Nachrichtenagentur TASS, dass er jede nur erdenkliche Rolle Russlands in Libyen »begrüße«.

China ist bereits aus dem Spiel

China hingegen ist raus aus dem Kampf ums libysche Öl. Peking hatte in Libyen seit Anfang der 1990er-Jahre auf breiter Basis investiert, nicht nur in die Öl- und Gasvorkommen. Die Unternehmen des Landes waren an sämtlichen großen Infrastrukturprojekten wie dem Ausbau von Straßen und Eisenbahnlinien sowie im Wohnungsbau beteiligt. Anfang 2011 befanden sich insgesamt 35 000 chinesische Arbeitskräfte in Libyen, die im Laufe des Jahres – als NATO-Flugzeuge das Land ins Chaos bombten – vollständig evakuiert werden mussten. Die letzten Mitarbeiter chinesischer Firmen verließen Libyen im Sommer 2014.

Auch wenn der Energiebereich sicher nicht der wichtigste Sektor für wirtschaftliche Kooperationen war, geben die Zahlen doch Auskunft darüber, wie vollständig sich der Ausfall der Investitionen gestaltete. Noch im Jahr 2010 bezog China etwa drei Prozent seiner Rohölimporte aus Libyen – 150 000 Barrel pro Tag, was umgekehrt immerhin elf Prozent der libyschen Förderung ausmachte. Im Jahr des Angriffs auf Libyen fiel der Anteil auf ein Prozent der chinesischen Rohölimporte, inzwischen bezieht China gar kein Öl mehr aus Libyen. Im Februar 2012 besuchte eine chinesische Handelsdelegation Libyen, um über ausstehende 20 Milliarden Dollar zu verhandeln. Soweit bekannt, wurden die Forderungen bis heute nicht beglichen.

Damit sich China auch weiter aus Libyen heraushält, hat Washington Bodentruppen dorthin entsandt. Die seien allerdings nicht unmittelbar an den Kämpfen beteiligt, sondern versorgten die Libyer nur mit Aufklärungsdaten, die der libyschen Regierung zum strategischen Durchbruch verhelfen sollen, wie der damalige Pentagon-Sprecher Gordon Trowbridge 2016 erklärte. Aber nicht nur die USA haben Truppen in dem ölreichen Land. Bereits am 20. Juli 2016 hatte Frankreichs Regierung den Verlust von drei französischen Soldaten in Libyen bestätigt. Ein Hubschrauber soll von Terrorkämpfern unweit der Stadt Bengasi abgeschossen worden sein. Zuvor hatte es gar keine Angaben über die Präsenz französischer Truppen im Land gegeben.

Bundeswehr ist auch dabei

Die Regierung Italiens hat ebenfalls einen Spezialeinsatz in Libyen zugegeben. Die entsprechende Bestätigung des Kommandoverbands der Spezialeinsatzkräfte COFS ist vom Online-Portal Huffington Post veröffentlicht worden. Demnach sollen sich mehrere Dutzend italienische Militärs aus dem »Col Moschin«-Regiment, einem Spezialkräfteverband des italienischen Heeres, in Libyen aufhalten. Ihr Ziel sei, die Volkswehr des libyschen Ministerpräsidenten Fayiz as-Sarradsch und die Volksstämme aus der Stadt Misrata auf die Entminung vorzubereiten und sie in der Verteidigung gegen IS-Scharfschützen zu unterweisen. Deutschland ist natürlich auch dabei. Die Bundeswehr beteiligt sich an der Ausbildung libyscher Küstenschutzkräfte durch die EU.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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