Christian Jung

Meuterei im Asylheim –
Abschiebungen und die Hintergründe

Sie kamen mitten in der Nacht. Halb vier Uhr morgens war es an jenem 14. März 2018. Noch war alles ruhig in der Asylunterkunft im bayerischen Donauwörth. Das sollte schon bald anders werden. Einen gambischen Staatsangehörigen wollten die Polizeibeamten festsetzen. Grund: Er sollte Deutschland verlassen – durch Zwang. Denn freiwillig hatte er das Land nicht verlassen wollen.

Kurze Zeit später kam es zu tumultartigen Szenen. Rund 50 Mitbewohner des illegal Eingereisten solidarisierten sich nicht nur mit dem Schübling, sondern attackierten die Einsatzkräfte. Als Reaktion auf die Tumulte wurde gegen den Rädelsführer durch die Staatsanwaltschaft Haftbefehl wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs erlassen. Gegen weitere am Aufstand Beteiligte ergingen Abschiebehaftbefehle. Zum Vollzug rückte die Staatsmacht gegen 15 Uhr erneut in der Asylunterkunft an.

Neben dem Haftbefehl hatten die Beamten noch Verstärkung mitgebracht. In Kampfmontur betraten die Einsatzkräfte die Asylunterkunft. Weder dadurch noch durch den Haftbefehl ließen sich die Aufständischen beeindrucken. Erneute Attacken folgten. Flaschen flogen. Kochendes Wasser wurde aus einem Fenster hinabgegossen, Mobiliar zertrümmert. Ein Asylant stellte sich der Polizei mit einer Eisenstange entgegen. Dennoch wurde kein Beamter verletzt.

Wirkung zeigten indes die Gewaltakte der Asylanten. Die Rückführung des Gambiers war gescheitert. Dieser sollte nicht etwa nach Gambia abgeschoben werden. Vielmehr stand eine Zurückschiebung nach Italien an. Die ungewöhnliche Uhrzeit hat rechtsstaatliche Ursachen: Die Festnahme muss so kurz wie nur irgend nötig vor dem Abflug erfolgen. Konsequenz: Der Flieger hob ohne den gambischen Migranten ab.

Schengenstaaten verweigern sich

Weil der Gambier aber nicht zum vereinbarten Zeitpunkt an die italienischen Behörden übergeben werden konnte, beginnt das Spiel der Rückübernahme von vorn. Neuerlich müssen die Italiener um Rücknahme des bei ihnen im Asylverfahren stehenden Ausländers gebeten werden. Das birgt Probleme aller Art. Denn auch die Schengenstaaten verweigern sich: Gerade einmal 1707 Zurückschiebungen hat es im Jahr 2017 gegeben, wie das Bundesinnenministerium gegenüber Kopp Exklusiv auf Nachfrage erklärte. Pro Jahr stellt Deutschland jedoch mehrere Zehntausend Anträge zur Rückübernahme.

Die allermeisten scheitern. Dies erscheint jedoch noch wenig problematisch im Vergleich zu den Hindernissen, welche die tatsächlichen Herkunftsstaaten aufbauen, um möglichst wenige ihrer eigenen Staatsbürger zurückzunehmen. Das Motiv: Die Landsleute senden Devisen an den Teil der zurückgebliebenen Familien und damit in das meist ökonomisch wenig entwickelte Heimatland. Zum anderen handelt es sich bei den Ausreisepflichtigen nicht selten um Straftäter, die neben der illegalen Einreise weitere Delikte auf dem Kerbholz haben. Von der Türkei bis Nigeria: Es gilt, den Landsleuten den Aufenthalt in Deutschland – möglichst lange – zu ermöglichen.

So sieht Merkels »Kraftanstrengung« aus

Ein Problem, das schon seit Jahrzehnten besteht und in der Politik bekannt ist. Doch mittlerweile steigt der Druck der Straße. Kanzlerin Angela Merkel versprach daher Anfang 2017 eine »nationale Kraftanstrengung«. Die Ergebnisse sind allerdings mehr als ernüchternd. Wenn nicht gar erschreckend. Denn statt weniger ausreisepflichtige Ausländer gibt es im Gegenteil immer mehr. Johannes Dimroth, Sprecher des Bundesinnenministeriums, muss in der Bundespressekonferenz das Versagen der Regierung einräumen: »Es ist tatsächlich so, dass die Zahl der Ausreisepflichtigen, die derzeit eine Duldung innehaben, weil sie eben nicht abgeschoben werden können, von 38 012 im Jahr 2016 auf über 64 900 im Jahr 2017 angestiegen ist.« Eine Steigerung von 71 Prozent. Lediglich 23 966 Ausländer wurden 2017 abgeschoben, erklärt das Bundesinnenministerium gegenüber Kopp Exklusiv. Deutschland hätte also mehr als doppelt so viele abschieben müssen, nur um die Zahl stabil zu halten.

Was die »nationale Kraftanstrengung« Angela Merkels nicht vermochte, soll nun der »Masterplan« von Horst Seehofer erreichen. Doch was ist das überhaupt für ein Plan? Weniger Visa für Staaten, die Rücknahmen verhindern? Kürzung, gar Streichung der Entwicklungshilfe? Dimroth wird hier schwammig. Spricht von einem »kohärenten Ansatz«.

»Der kohärente Ansatz meint, dass man dieses Politikfeld idealerweise nicht isoliert, als Solitär, betrachten sollte, sondern idealerweise immer zusammendenken sollte mit anderen Politikfeldern, in denen wir Beziehungen zu Herkunftsstaaten pflegen«, erklärt Dimroth. Das könne die Entwicklungshilfe sein, aber auch die Visa-Politik. Das »Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr«, kurz ZUR, soll hierzu an die Herkunftsländer »herantreten«. Zugleich gilt: Die Bundesregierung gibt hier die Verantwortung an die EU ab. Die will über den am 14. März 2018 eingeführten sogenannten »Visa-Hebel« auf Herkunftsstaaten einwirken.

Das Chaos ist perfekt

Doch nicht immer sind die Interessen der gesamten EU die Interessen der Deutschen. Merkel wollte – in einem anderen Zusammenhang – einen härteren Kurs gegenüber der Türkei einschlagen. Ihr fehlte auf EU-Ebene die Mehrheit. EU Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker macht aktuell klar: Er will die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fortsetzen. Wo sollen aber Mehrheiten in der EU und die Unterstützung durch die Kommission herkommen, wenn die Europäische Union mit »Visa-Hebel« gegen die Türkei, eines der Top-Problemländer, vorgehen soll? Die meisten anderen EU-Mitglieder haben – anders als Deutschland, Österreich und die Niederlande – zudem keinen großen türkischen Migrationsanteil. Damit dürfte das Chaos perfekt sein. Alle Ebenen sind für alles und zugleich nichts verantwortlich: von der kommunalen Ausländerbehörde über die Innenministerien der Länder, die abschieben sollen, und den Bund, der die Herkunftsländer zur Zusammenarbeit überreden möchte und dies doch gleichzeitig irgendwie der EU überlässt. Politik aus einem Guss geht anders.

Auch im Inland ist der Vollzugsdruck niedrig. Zuständigkeits- und Überforderungschaos allüberall. Das beginnt bei der Passbeschaffung, wie Dimroth feststellt: »Das regelmäßig zentralste Problem liegt daran, dass sich die Betroffenen diesen Verfahren nicht stellen, nicht mitwirken wollen.« Das könnten Ausländerbehörden sanktionieren. Etwa indem sie für Kürzungen der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sorgen. Problem: Streichungen müssen die Sozialbehörden vornehmen. Deren Sachbearbeiter sind jedoch mit Fallzahlen von häufig mehr als hundert weit überfordert.

Wenn alle Stricke reißen, kann der Ausländer auch noch geltend machen, nicht reisefähig zu sein. Attestiert wird dies gern durch Vereine wie »Refugio« in München. Damit der Verein das kann, erhält er Steuergelder. Deutlich über 880 000 Euro schüttete die Stadtratsmehrheit von CSU und SPD allein 2017 aus. Jene Parteien also, die auf Bundesebene seit Jahren »nationale Kraftanstrengungen « entfalten wollen oder einen vermeintlichen »Masterplan« haben.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einem Abo, falls Ihnen dieser Beitrag gefallen hat.