Stefan Schubert

Mordfall Lübcke: Verfassungsschutz verweigert Auskunft über V-Mann-Tätigkeit des Beschuldigten

Luebcke

Es ist ein offenes Geheimnis, die militante rechtsextreme Szene ist von V-Männern des Staates geradezu durchsetzt. Allein im direkten Umfeld des NSU sind 25 namentlich bekannte V-Männer öffentlich geworden. So ist es auch als wahrscheinlich anzusehen, dass es im Mordfall Lübcke Überschneidungen des mutmaßlichen Täters zu Behörden gibt. Um auszuschließen, dass es sich bei Stephan E. um einen V-Mann des Verfassungsschutzes handelt, stellte der Autor bei den beteiligten Diensten eine entsprechende Anfrage. Doch diese schweigen oder verweigern sich jeglicher Antworten. Auffallend ist, selbst ein Dementi über eine V-Mann-Tätigkeit des Beschuldigten Lübcke-Mörders haben die angefragten Verfassungsschutzämter nicht abgegeben.

Eines fällt beim Lebenslauf von Stephan E. sofort ins Auge: Die hohe Anzahl von schweren Gewaltdelikten, denen allesamt eine Verurteilung durch Gerichte folgte. Angaben über verbüßte langjährige Haftstrafen fehlen jedoch in dem bekannten Lebenslauf komplett. Es handelt sich um ein geläufiges Anwerbeverfahren des Verfassungsschutzes, verurteilte Straftäter mit einer deutlichen Reduzierung der ausgesprochenen Haftstrafe zur Zusammenarbeit zu bewegen oder zu zwingen, je nach Blickwinkel. Auch, dass V-Männer zuerst öffentlichkeitswirksam verurteilt und nach einigen Wochen auf dem kleinen Dienstweg aus der Haft entlassen werden, ist eine bekannte Vorgehensweise der Dienste. Durch die Tat und die ausgesprochene Haftstrafe erhöht sich zudem die Reputation der V-Männer in der Szene und somit die Verpflichtung gegenüber den Diensten, so die Hoffnung der Schlapphüte. Dass militante Rechtsextremisten die Dienste längst als ein Finanzierungsmodell sowie als Freifahrtticket aus dem Knast benutzen, während sie wirklich brisante Informationen verschweigen, dies ist selbst den Behördenleitern bekannt.

Bewährungsstrafen und Einstellungen gegen einen vorbestraften Gewalttäter und Bombenleger?

Bis jetzt sind sieben Vorstrafen aus dem Bundeszentralregister von Stephan E. bekannt: Diebstahl, Beleidigung, Körperverletzung und Besitz eines unerlaubten Gegenstandes. 1993 griff er ferner mit einer selbstgebauten Rohrbombe eine Flüchtlingsunterkunft an. Der Anschlag schlug fehl. Auf einer öffentlichen Toilette griff er weiterhin einen Ausländer mit einem Messer an und verletzte diesen schwer.

Wegen versuchtem Totschlag und das »versuchte Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion« wurde er zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt. Wie viele Jahre er davon tatsächlich absitzen musste ist jedoch nicht bekannt. Stephan E. war auch dabei als ein Mob aus 400 Neonazis in Dortmund Teilnehmer einer DGB-Veranstaltung mit Steinen, Holzlatten und Fäusten angriff. Erstaunlich ist in diesem Fall das milde Urteil des mehrfach vorbestraften Gewalttäters und Bombenlegers zu einer nur siebenmonatigen Bewährungsstrafe. Noch brisanter wiegen die Fälle in vier weiteren Strafverfahren, darunter so schwerwiegende Beschuldigungen wie: Brandstiftung, Totschlag, gefährliche Körperverletzung und Raub. Diese Verfahren wurde allesamt eingestellt, aus Mangel an Indizien, wie es offiziell begründet wurde. Eine Überprüfung dieser Vorgänge, ob die Aktenlage tatsächlich kein Gerichtsverfahren ermöglichte oder ob Dienste Einfluss auf die Einstellung dieser Verfahren genommen haben, dabei handelt es sich um eine entscheidende Frage die es zu untersuchen gilt.

Der NSU und die Geheimdienste

Immer deutlich werden zudem die Hinweise, dass der Mordbeschuldigte Stephan E. ein Teil des Kassler NSU-Umfeldes ist. Diese Terrorzelle war wohl wie keine zweite in der Geschichte der Bundesrepublik von V-Männern der Behörden durchsetzt. So sind mittlerweile 25 Informanten bekannt, die durch sieben unterschiedliche Behörden geführt wurden. Dazu zählen die Landesämter für Verfassungsschutz in Hessen, in Thüringen, in Brandenburg und in Bayern. Auch der Militärische Abschirmdienst, das Landeskriminalamt Berlin sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz warben im NSU-Komplex militante Neonazis als V-Männer an. Unter diesen V-Männer befand sich ein Ralf M., der Uwe Mundlos und wahrscheinlich auch Beate Zschäpe beschäftigte. Er gilt zudem als verdächtig, dass über seine Firma Autos angemietet wurden, die das NSU-Trio für seine Taten gebrauchte. Der V-Mann Thomas S. soll dem NSU Sprengstoff geliefert haben. V-Mann Tino Brandt strich 200.000 Mark, die er wieder in neonazistische Strukturen gesteckt haben will und gründete beispielsweise den Thüringer Heimatschutz. Und V-Mann Marcel D. berichtete über Geldspenden vom Netzwerk Blood&Honour für den untergetauchten NSU. Dabei handelt es sich um dasselbe Netzwerk in dem auch Stephan E. aktiv war

Die hessische Landesregierung und der Verfassungsschutz sabotieren jedoch ganz offensichtlich jegliche weitere Aufklärungsarbeit bezüglich der Verstrickungen des hessischen Verfassungsschutzes im NSU-Fall, da der Verfassungsschutz seine Akten für 120 Jahren als Verschlusssache gesperrt hat. Gerade bei dem Hintergrund, dass in Kassel ein Migrant von dem NSU ermordet wurde und zahlreiche Personen und Netzwerke die damals als Kassler NSU-Unterstützerszene galten nun auch wieder im Mordfall Lübcke genannt werden, ist die 120-Jahre-Sperre ein mehr als befremdliches Verhalten.

Was hat der Verfassungsschutz zu verbergen?

So liegt der Verdacht auf der Hand, dass auch im Mordfall Lübcke beteiligte Personen mit Diensten kooperierten. Und auch die schwerwiegende Befürchtung, dass es sich bei den dringend tatverdächtigen Stephan E. um einen V-Mann des Verfassungsschutzes handelt, ist nicht so leicht vom Tisch zu wischen. Dafür sprechen unter anderem die obig aufgezählte milde Bewährungsstrafe, die Nicht-Veröffentlichung von verbüßten Haftjahren sowie die Einstellungen von fünf weiteren Straftaten. Um diesen schwerwiegenden Vorwurf der im Raum steht zu entkräften und dem Verfassungsschutz Zeit und Raum für ein klares Dementi einzuräumen, schrieb der Autor bereits am 18. Juni das Bundesinnenministerium, das hessische und nordrhein-westfälische Innenministerium (IM) an, sowie die ihnen nachgeordneten Behörden der drei jeweiligen Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern.

Lediglich aus dem IM NRW erhielt der Autor eine »Antwort«:

»Sehr geehrter Herr Schubert,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage.

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz macht grundsätzliche keine Angaben über personenbezogen Daten und nachrichtendienstliche Maßnahmen.

Mit freundlichen Grüßen

XXX«

Der Verfassungsschutz aus Hessen und dem Bund verweigern, trotz abermaliger Nachfrage, jegliche Antwort. Dies verwundert doch sehr, da durch eine eindeutige Klarstellung jeglicher schwerwiegender Verdacht ausgeräumt werden könnte.

Ein Teil der Anfrage lautet:

» 1: War Stephan E. im Zeitraum der vergangen 25 Jahre für ihre Behörde als V-Mann tätig?

2: Wenn nein, können Sie dies kategorisch ausschließen?

3: Hat es in den vergangenen 25 Jahren einen Anwerbeversuch ihrer Behörde bzgl. Stephan E. gegeben?

4: Wenn ja, wie waren die Umstände dieses Anwerbeversuches?«

Selbst ein einfaches Dementi jeglicher V-Mann-Tätigkeit des Mordbeschuldigten Stephan E. bleibt das Bundesamt für Verfassungsschutz und der hessische Verfassungsschutz schuldig.

Montag, 24.06.2019