Torsten Groß

Ost-West-Konflikt: Spannungen mit Russland nehmen nach Biden-Amtsantritt zu

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Wer glaubte, dass mit dem Amtsantritt des Demokraten Joe Biden als US-Präsident nach vier Jahren Trump nun eine Ära der Harmonie und des Ausgleichs in den internationalen Beziehungen beginnen würde, der sieht sich getäuscht, zumindest was das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Russland angeht. Denn hier droht eine neue Eiszeit. Einen Vorgeschmack auf kommendes Ungemach gab Biden bereits unmittelbar nach seinem Amtsantritt, als er in einem Interview ankündigte, die russische Regierung werde für den Versuch, seine Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2020 untergraben, »bezahlen«.

Biden warf Moskau seinerzeit unter Hinweis auf Erkenntnisse der amerikanischen Geheimdienste vor, mit Hilfe von Desinformationskampagnen die öffentliche Wahrnehmung in den USA beeinflusst zu haben, um Donald Trump zu einer zweiten Amtszeit im Weißen Haus zu verhelfen. Gleichzeitig bejahte Biden die Frage des Moderators, ob er die Ansicht vertrete, dass der russische Präsident Wladimir Putin ein Mörder sei. Die Äußerungen des US-Staatsoberhaupts riefen scharfe verbale Reaktionen Russlands hervor und führten zur zeitweisen Abberufung des russischen Botschafters in den USA.

Im Rahmen seiner am 21. April gehaltenen Rede zur Lage der Nation ging auch Putin auf Konfrontationskurs und stieß wüste Drohungen in Richtung Washington aus. Der russische Präsident wörtlich:

»Wer Provokationen organisiert, die die Kerninteressen unserer Sicherheit bedrohen, wird diese Taten so bereuen, wie er noch nie etwas bereut hat.« Und weiter: »Aber ich hoffe, dass sich niemand trauen wird, die sogenannten roten Linien zu überschreiten. Wie diese Linien aussehen werden – das werden wir selber bestimmen, in jedem konkreten Fall.«

Hintergrund des immer schärfer werdenden Tons zwischen Washington und Moskau sind fünf Konfliktfelder, die zu Spannungen zwischen Washington und Moskau führen:

In den letzten Wochen hat Russland weit über 100 000 Soldaten an die Grenze zur Ukraine und auf die annektierte Halbinsel Krim verlegt. Es handelt sich um den größten Truppenaufmarsch seit dem Beginn der Kampfhandlungen um die nach Unabhängigkeit strebenden ostukrainischen Provinzen Donezk und Luhansk im Jahre 2014, ausgelöst durch die bewaffneten Aktivitäten pro-russischer, von Moskau unterstützter Separatisten. Nach offizieller Lesart erfolgte die Dislozierung von Militäreinheiten im Rahmen eines Manövers. Die NATO geht dagegen von einem gezielten Einschüchterungsversuch aus und spricht von einer Provokation durch die Putin-Regierung. Seit Mitte Februar ist es zu verstärkten Kampfhandlungen entlang der Demarkationslinie gekommen, die Verletzte und Todesopfer auf beiden Seiten gefordert haben. Die ukrainische Regierung befürchtet eine Invasion durch die russische Armee und hat deshalb auch Deutschland um die Lieferung von Defensivwaffen gebeten, um sich gegen einen möglichen Angriff verteidigen zu können. Zwar hat die Moskau in der vergangenen Woche angekündigt, Truppen wieder von der ukrainischen Grenze abziehen zu wollen. Unklar ist aber, in welchem Umfang das geschehen soll und ob der Rückzug von Dauer sein wird.

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Mitte März hat die NATO-Militärübung Defender Europe 21 begonnen, in deren Verlauf knapp 30.000 Soldaten der US-Streitkräfte und aus weiteren 25 Nationen in den Osten Europas verlegt werden sollen. Es handelt sich um eines der größten Manöver der transatlantischen Allianz in Europa seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Das Ziel von Defender Europe 21 ist es, die Fähigkeit des Bündnisses zu großen und schnellen Truppenbewegungen zu verbessern und dem entgegenstehende Mängel innerhalb der Infrastruktur zu beheben. Dabei geht es vor allem um Brücken und Verladestationen der Bahn, die zum Teil nicht darauf ausgelegt sind, Transportzüge mit schweren Kampfpanzern zu tragen. Auch wenn sich die Militärübung offiziell gegen niemanden richtet, dient das bis Juni laufende Manöver offenkundig dem Zweck, sich für den Fall einer russischen Expansion gen Westen zu wappnen, eine Gefahr, die vor allem von den osteuropäischen NATO-Mitgliedern beschworen wird. Moskau wertet das Manöver denn auch als einen aggressiven Akt und hat in Reaktion darauf Kriegsschiffe ins Schwarze Meer entsandt und Teile des dortigen Luftraums sowie mehrere Seegebiete nahe der ukrainischen Halbinsel im Schwarzen Meer für ausländische Schiffe bis zum 31. Oktober gesperrt. NATO, EU und Ukraine kritisieren die Maßnahmen als Provokation.

In Russland nimmt der innenpolitische Druck auf Präsident Putin wegen der Inhaftierung des Regierungskritikers Alexei Nawalny zu, dessen Gesundheitszustand sich seit März dramatisch verschlechtert hat. In der vergangenen Woche demonstrierten Tausende von Menschen in insgesamt 100 Städten des Landes für eine angemessene medizinische Versorgung Nawalyns sowie dessen Freilassung. Die russischen Sicherheitsbehörden reagierten mit zahlreichen Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Seit Beginn des Jahres sollen bereits 10.000 Anhänger von Nawalny verhaftet worden sein. Der Westen unterstützt die Proteste der Opposition zumindest verbal und hat auf die Verurteilung des 44-Jährigen zu dreieinhalb Jahren Straflager mit Einreise- und Kontosperren gegen verschiedene, an dem Verfahren beteiligte Vertreter der russischen Justiz reagiert. Moskau sieht darin eine Einmischung in innere Angelegenheit. Die Affäre Nawalny belastet die angespannten Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zusätzlich.

Wie schon die US-Regierung von Donald Trump setzt auch die Biden-Administration alles daran, die Fertigstellung der Gaspipeline North Stream 2 zu verhindern. Die Doppelstrangleitung mit einer Transportkapazität von 55 Milliarden Nm3 pro Jahr soll – ebenso wie die bereits 2011 in Betrieb genommene Anlage Nord Stream 1 – russisches Erdgas über die Ostsee nach Deutschland transportieren. Die 1.224 Kilometer lange Trasse ist zu 90 Prozent fertigstellt. Trotzdem will Washington sozusagen noch in letzter Minute einen Stopp der Ostseepipeline durchsetzen. Offiziell wird diese Forderung mit dem geostrategischen Argument begründet, Deutschland und Europa könnten sich energiepolitisch von Russland abhängig und damit erpressbar machen.

Doch in Wahrheit geht es (auch) darum, den russischen Staatskonzern Gasprom als Wettbewerber vom europäischen Markt zu verdrängen und so die Absatzchancen für das eigene, deutlich teurere Flüssiggas zu erhöhen, das mit Hilfe der umstrittenen Frackingmethode gewonnen wird. Trotz der Kritik an dem Vorhaben, die von diversen EU-Staaten vor allem in Osteuropa geteilt wird, hält die Regierung Merkel an ihrer politischen Unterstützung für die Pipeline fest. Denn man benötigt das preiswerte Gas aus Russland, um die Energiewende nach dem gleichzeitigen Ausstieg aus Kernkraft und Kohle abzusichern. Die Haltung Deutschlands in Sachen Nord Stream 2 dürfte sich allerdings ändern, sollten nach der Bundestagswahl im Herbst die »US-gesteuerten Grünen« (Lafontaine) die Kanzlerin stellen, die das Projekt klar ablehnen.

Die Kampagne gegen Nord Stream 2 ist zudem Teil des Versuchs der USA, Russland ökonomisch zu schwächen. Beginnend mit der Besetzung der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim durch russische Truppen haben die Vereinigten Staaten und die Europäische Union zahlreiche Sanktionsmaßnahmen verhängt, die vor allem die russische Wirtschaft treffen sollen und sich sowohl gegen Unternehmen als auch Einzelpersonen wie Manager und hochrangige russische Politiker richten. Im Fokus steht dabei der Rohstoffsektor, dessen Erzeugnisse mehr als die Hälfte der Exporte des Landes ausmachen. Bereits im Sommer 2017 verabschiedete das US-Repräsentantenhaus ein umfassendes Gesetzespaket, das u. a. drastische Finanzierungsbeschränkungen vorsieht und Sanktionen auch gegen Unternehmen aus Drittstaaten vorsieht, die sich an Energieprojekten mit Russland beteiligen – eine Regelung, die speziell gegen deutsche Firmen gerichtet ist, die an der Realisierung von Nord Stream 2 mitwirken.

Auf jedem dieser Konfliktfelder könnte es jederzeit zu einer Eskalation des angespannten Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen kommen, deren Folgen vor allem Europa und damit Deutschland treffen würden. Die jüngsten verbalen Ausfälle des US-Präsidenten in Richtung Moskau zeigen, dass sich diese Gefahr mit dem Einzug von Joe Biden ins Weiße Haus erhöht hat.

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Dienstag, 27.04.2021