Torsten Groß

Türkei: Brutale Frauenmorde empören die Öffentlichkeit

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Die Zahlen sind erschreckend: Allein zwischen August 2017 und November 2018 wurden in der Türkei 652 Frauen teilweise äußerst brutal getötet. Im laufenden Jahr zählt die Statistik schon 430 Opfer. Zum Vergleich: In Deutschland mit etwa gleich großer Einwohnerzahl wurden 2018 »nur« 333 Frauen Opfer von Mord oder Totschlag.

Bezeichnend sind die Motive, aus denen die zumeist männlichen Täter in der Türkei handelten: 16 Prozent der Frauen wurden umgebracht, weil sie eigenverantwortlich über ihr Leben entscheiden wollten, z.B. ihren Partner verlassen, die Scheidung eingereicht oder sich allzu freizügig in der Öffentlichkeit gezeigt hatten. Es gab sogar Fälle, da wurden Frauen von ihren Partnern nur deshalb ermordet, weil sie bei deren Abwesenheit nicht ans Telefon gegangen waren und so in Verdacht gerieten, untreu gewesen zu sein.

Die Dunkelziffer dürfte jedoch noch höher liegen, denn nur in etwa der Hälfte der Tötungsdelikte konnten die Beweggründe der Täter von den Ermittlungsbehörden aufgeklärt werden.

13 Prozent der Frauen wurden aus nicht näher definierten »wirtschaftlichen Gründen« umgebracht.

Hinter den nüchternen statischen Zahlen verbergen sich teilweise brutale Gewaltexzesse, die in den letzten Monaten immer wieder zu breiter Empörung in den sozialen Netzwerken und zu öffentlichen Protesten von Frauenrechtsorganisationen geführt haben.

Einige Beispiele:

• Im Mai 2018 wurde die 23-jährige Sule Cet in Ankara von ihrem betrunkenen Chef und einem Kollegen im Büro vergewaltigt und anschließend aus dem 20. Stock des Bürogebäudes geworfen. Polizei und Justiz hatten zunächst versucht, die Tat zu vertuschen. Vor einigen Wochen wurde der Haupttäter zu lebenslanger Haft verurteilt. Sein Komplize muss 19 Jahre hinter Gitter. Diese harten Urteile sind durchaus beachtlich. Oftmals bleiben Morde an Frauen in der Türkei nämlich ungesühnt, wenn sie denn überhaupt aufgeklärt werden.

• Im August dieses Jahres wurde eine Frau, die gerade erst ein Kind zur Welt gebracht hatte, noch im Krankenhaus von ihrem Ehemann zunächst verprügelt und dann erstochen. Das Opfer wollte sich wegen fortgesetzter häuslicher Gewalt scheiden lassen.

• Im gleichen Monat wurde die 38-jährige Emine Bulut in Kirikkale, einer Stadt in Zentralanatolien, in einem Cafe ermordet. Sie hatte sich dort mit ihrem Ex-Mann getroffen, von dem sie bereits seit mehreren Jahren geschieden war. Bulut wurde von ihrem brutalen Mörder vor den Augen der 10-jährigen Tochter mit einem Messer mehrfach in den Hals gestochen und verblutete noch am Tatort.

• Zuletzt sorgte der Fall Filiz Telkin für Entsetzen: Die in Izmir lebende Frau war von ihrem unter Alkoholeinfluss stehenden Mann brutal verprügelt und anschließend daran gehindert worden, ihre schweren Verletzungen ärztlich behandeln zu lassen. Telkin verstarb wenige Tage später.

Bei den Tätern – das zeigen auch die obigen Beispiele – handelt es sich zumeist um männliche Verwandte und Bekannte der Opfer wie Ehemänner, Ex-Gatten, Brüder, Väter oder Freunde. In der seit 2002 von der islamistischen AKP unter ihrem autoritärem Parteichef Recep Tayyip Erdoğan regierten Türkei, der zugleich das Amt des Staatspräsidenten innehat, werden Verbrechen an Frauen oftmals totgeschwiegen.

Deshalb ist es selten, dass sich Regierungsvertreter zu Frauenmorden öffentlich äußern und ihr Beileid bekunden.

So geschehen Anfang dieses Monats, als die erst 20-jährige Kunststudentin Ceren Özdemir vor ihrer Haustür von einem Schwerkriminellen erstochen wurde.

Allerdings war es weniger die Tat also solche, die Justizminister Abdulhamit Gül und Innenminister Süleyman Soylu auf den Plan riefen, als vielmehr der Umstand, dass der Mörder zuvor aus einem Gefängnis ausgebrochen war, was Diskussionen über die Sicherheit von Haftanstalten ausgelöst hatte und so die Regierung in Zugzwang brachte.

Wie brisant die Lage für Frauen in der Türkei ist, zeigt auch der große Erfolg von »KADES«, einer mobilen App, die das türkische Innenministerium auf öffentlichen Druck hin im März 2018 aufgeschaltet hat. Frauen, die bedroht werden oder Gewalt ausgesetzt sind, können diesen »Notfallknopf« betätigen und so die Polizei alarmieren. Bis November 2019 – also in nur 15 Monaten – wurde KADES 353.334 Mal heruntergeladen und in knapp 16.500 Fällen ausgelöst.

Eigentlich wäre die Türkei aufgrund völkerrechtlicher Verträge verpflichtet, Gewalt gegen Frauen aktiv zu bekämpfen. Zu diesen Vereinbarungen gehört das »Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau« (CEDAW) von 1981, dem Ankara bereits 1985 beigetreten ist, sowie die sog. Istanbul-Konvention von 2014, die von der Türkei vor fünf Jahren ratifiziert und mit dem »Gesetz zur Vorbeugung von Gewalt gegen Frauen und zum Schutz der Familie« in nationales Recht umgesetzt wurde. Doch in der Praxis werden diese Vorschriften von den türkischen Strafverfolgungsbehörden häufig nicht beachtet. Wendet sich etwa eine von ihrem Ehegatten misshandelte Frau hilfesuchend an die Polizei, dann bekommt sie von den Beamten häufig lapidar mitgeteilt:

»Geh zurück zu Deinem Mann.«

Beobachter führen die Blockadehaltung staatlicher Institutionen, aber auch der Politik, auf die ausgeprägten patriarchischen Familienstrukturen und kulturellen Gewohnheiten in der Türkei zurück, die vor allem in den ländlichen Regionen des Landes lebendig sind. Dort also, wo die Anhängerschaft der AKP besonders groß ist. Dass diese »kulturellen Gewohnheiten« besonders stark vom sunnitischen Islam beeinflusst sind, dem 82 Prozent der Türken anhängen, bleibt jedoch oftmals unerwähnt.

Denn anders als von Islamapologeten immer wieder behauptet wird, sehen Koran und Scharia eben keine Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern die Unterordnung der Frau unter den Willen ihres Mannes vor, den der im Falle von Ungehorsam seiner Gattin auch mit Gewalt durchsetzen kann.

Besonders deutlich kommt das in Koransure 4:34 zum Ausdruck, in der es heißt:

»Die Männer stehen über den Frauen (ar-riǧālu qauwāmūn ʿalā n-nisāʾ), weil Gott sie (von Natur aus vor diesen) ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen (Morgengabe für die Frauen) gemacht haben. Und die rechtschaffenen Frauen sind (Gott) demütig ergeben und geben acht auf das, was (den Außenstehenden) verborgen ist, weil Gott (darauf) acht gibt (d.h. weil Gott darum besorgt ist, dass es nicht an die Öffentlichkeit kommt). Und wenn ihr fürchtet, dass (irgendwelche) Frauen sich auflehnen (nušūz), dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie (wa-ḍribū-hunna)! Wenn sie euch (daraufhin wieder) gehorchen, dann unternehmt (weiter) nichts gegen sie! Gott ist erhaben und groß.«

Nun wird auch klar, warum islamische Staaten die Frauenrechtskonvention CEDAW mit dem Argument kritisieren, das in der Vereinbarung festgelegte Ziel der Gleichberechtigung stehe im Widerspruch zu Koran und Scharia. Dass dieses archaische Rollenverständnis auch in der Türkei eine Renaissance erfahren hat, ist nicht zuletzt auf die fast zwei Jahrzehnte währende Regentschaft der AKP zurückzuführen, die unter dem früheren Radikal-Islamisten Erdogan einen Kurs der schleichenden, aber konsequenten Islamisierung des Landes fährt.

Welche Stellung die offizielle Lesart des Koran in der Türkei Frauen zubilligt, zeigt auch folgende Äußerung des Präsidenten von Diyanet (Amt für Religiöse Angelegenheiten), Ali Erbaş:

»In unserer Religion sind Leben, Würde und Rechte der Frauen unantastbar und werden [den Männern] anvertraut.«

Frauen sollen ihr Leben also nicht eigenverantwortlich gestalten und ihre Rechte wahrnehmen dürfen, sondern haben diese Rechte – einschließlich des Rechts auf Leben – ihren Männern zu überantworten und sich ihnen auszuliefern. Dass in diesem reaktionären gesellschaftlichen Klima, unterfüttert durch eine vormoderne religiöse Ideologie, Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen gedeihen, sollte niemanden wirklich verwundern.

Aus deutscher und europäischer Sicht besorgniserregend ist, dass diese Ideologie infolge der unkontrollierten Massenzuwanderung sog. »Flüchtlinge«, die zu einem großen Teil Muslime mit einem traditionalistischen Islamverständnis sind, auf unserem Kontinent immer stärkere Verbreitung findet.

Parallel dazu nimmt die Gefährdung von Frauen in Deutschland zu, wie ein Blick in die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik zeigt: Zwischen 2015 – dem Jahr der Grenzöffnung durch CDU-Bundeskanzlerin Merkel – und 2018 ist die Zahl der Vergewaltigungen von 7.022 auf 9.234 gestiegen, ein Zuwachs von knapp 32 Prozent. Die Zahl der weiblichen Vergewaltigungsopfer nahm im gleichen Zeitraum sogar um fast 40 Prozent, die der durch Mord und Totschlag getöteten Frauen um 15 Prozent zu.

Sollte sich diese Entwicklung ungehindert fortsetzen, drohen auch in Deutschland dauerhaft anatolische Verhältnisse!

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Sonntag, 29.12.2019