Andreas von Rétyi

Ungarn, Orbán, Antisemitismus:
Wahrheit oder billige Polemik?

Viktor Orbán – verschrien als Prügelknabe Europas, als rechtsextremer Populist und Antisemit sowie als Kopf eines polarisierenden Hassregimes, dem die junge Generation angeblich zunehmend den Rücken kehrt. Was stimmt von alledem?

Das Einstiegsbild fokussiert sehr einnehmend auf ein hübsches, junges Gesicht – eine 25-jährige ungarische Studentin, die in der Menge gegen Orbáns Regierung protestiert. Ein Motiv mit klarer Aussage: Hier wendet sich eine moderne, gebildete und aufgeschlossene junge Generation gegen einen diktatorischen Hetzer, der an der Spitze seines autoritär geführten Machtapparats keine Meinungsfreiheit zulässt und mit allen Mitteln gegen »Migranten, Minderheiten und gegen die Medien« hetzt. So leitet Nick Robins-Early seinen Beitrag vom 21. Mai in der Huffington Post ein. Wie es dort heißt, veranlasse unter anderem eine neue Kultur des Hasses insbesondere die junge Generation sowie Angehörige des jüdischen Glaubens dazu, aus Ungarn auszuwandern. Aber lässt sich das pauschalisieren?

Sensibilisiert durch die Geschichte

Der hiesige Mainstream präsentiert Orbán als rechtsextremen Fanatiker und Antieuropäer, dessen Denken und Handeln das eigene Volk irritiere und beunruhige. Zumindest die Wahlergebnisse sagen etwas anderes aus. Trotzdem entsteht schnell der Eindruck, der ungarische Ministerpräsident habe sein Amt nicht legal erhalten. Seine restriktive Flüchtlingspolitik rechtfertige er auch dreist durch schlichtes Heraufbeschwören historischer Invasionsereignisse. Nicht zu bestreiten bleibt allerdings die Jahrhunderte währende und dramatische Geschichte der Gefahr aus dem Osten, auf die das Land zurückblickt.

Es begann harmlos und einvernehmlich im 10. Jahrhundert, als Árpádenfürst Taksony muslimische Kaufleute im Kastell Aquincum ansiedeln ließ, einem Teil des heutigen Budapest. Jene neuen Siedler sollten den Fernhandel ankurbeln. Die Muslime gewannen an Macht und Einfluss, Interessenskonflikte mit den Einheimischen waren die Folge, auch da sehr verschiedene Gesellschaften aufeinandertrafen. Schließlich mussten die muslimischen Händler das Land verlassen, stattdessen holte man im 13. Jahrhundert Deutsche nach Ungarn.

Während des Mongolensturms unter Batu Khan im Jahr 1241 wurde die Hälfte der einheimischen Bevölkerung getötet, überall brannten lichterloh die Schädelhaufen. König Béla IV. siedelte deutsche Einwanderer vor allem in Siebenbürgen und in der heutigen Slowakei an, um diese enormen Verluste zu kompensieren. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts erstarkte die osmanische Gefahr, und 1408 schließlich gründete Kaiser Sigismund den legendären Drachenorden (»Sárkány Lovagrend«), um das Christentum vor jener äußeren Bedrohung zu schützen. Nach dem Fall von Konstantinopel 1453 gewann der Orden erneut an Bedeutung. 1526 unterlag das königliche Heer schließlich den einfallenden Türken im Zuge der traumatisierenden Schlacht von Mohács. Die islamische Transformation Ungarns begann, und seit 1541 lag die absolute Gewalt bei den muslimischen Besatzern.

O-Ton Viktor Orbán

Die türkische Vorherrschaft endete erst nach dem gescheiterten Sturm auf Wien 1683. Mit dem Frieden von Karlowitz 1699 musste das Osmanische Reich auf Ungarn verzichten, doch der Rückzug dauerte bis 1720 an. Die Folgen der Fremdherrschaft waren katastrophal. Auch wenn die historische Situation nicht mit der aktuellen vergleichbar ist, wäre es also wohl etwas zu billig, Orbáns Verweise auf die historische Dimension als plumpe Scheinbegründung für seine Migrationspolitik auszulegen, wenn er beispielsweise erklärt: »Ich denke, wir haben ein Recht zu entscheiden, dass wir keine große Zahl an Muslimen in unserem Land haben wollen.

Uns missfallen die Konsequenzen aus der Präsenz zahlreicher muslimischer Kommunitäten, wie wir sie in anderen Ländern beobachten, und ich sehe keinen Grund, durch den uns andere zwingen könnten, Arten des Zusammenlebens in Ungarn zu schaffen, die wir nicht wünschen. Das ist für uns eine historische Erfahrung … Wir sollten nicht vergessen, dass die Leute, die hierher kommen, in einer anderen Religion aufgewachsen sind und eine komplett andere Kultur repräsentieren. Das ist eine wichtige Frage, denn Europa und die europäische Kultur haben christliche Wurzeln.« So weit der O-Ton Orbán.

Der »gläubige Atheist«

Der ungarische Pastor Sándor Németh machte vor der letzten Wahlentscheidung kein Hehl aus seiner Meinung: »Wenn Orbán und seine Partei gewinnen, dann wird sich … die Schlacht nicht nur gegen eine Islamisierung unseres Kontinents fortsetzen, sondern auch gegen den Hass auf das Christentum und gegen Antizionismus und Antisemitismus in Europa.«

Némeths Worte haben einiges Gewicht. Der Pastor selbst bereiste Israel mit seiner Familie erstmals im Jahr 1992. Dies habe einen bedeutenden Einfluss auf sein Leben gehabt. Seitdem besuche er das Heilige Land jährlich einmal. Er initiierte auch die Restauration jüdischer Grabmäler in Ungarn, setzt sich für den Dialog zur Stärkung des Verhältnisses zu den ungarischen Juden ein und erhielt im Jahr 2009 den Contribution to Hungarian Jewry Award. Wenn gerade er sich positiv zur Wahl Orbáns äußert, dürfte das wohl einiges relativieren. Überhaupt fällt es schwer, dessen Migrationspolitik mit Antisemitismus zu verknüpfen.

Der Vorwurf des Antisemitismus wird insbesondere vom 1930 in Budapest geborenen, in die USA ausgewanderten Spekulanten Soros erhoben, einem erklärten Atheisten, der sich nur dann als Jude bezeichnet, wenn es ihm etwas nützt. Im Zweiten Weltkrieg machte es Soros allerdings nichts aus, bei der Enteignung von Juden mitzuwirken.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einem Abo, falls Ihnen dieser Beitrag gefallen hat.