Stefan Schubert

US-Geheimdienste agieren nach Besatzungsrecht

Im Sommer jähren sich die Snowden-Enthüllungen zum fünften Mal. Seit diesen Erkenntnissen ist bekannt, dass die Geheimdienste jede Mail, jeden Seitenaufruf im Internet und jedes Telefonat speichern und von Spionageprogrammen automatisiert durchwühlen und auslesen lassen.

Weniger bekannt ist, dass die Amerikaner mit der massenhaften Überwachung deutscher Bürger gegen keinerlei Gesetz verstoßen. Die Bundesregierungen haben den Amerikanern nämlich weitreichende Rechte eingeräumt, die ihren Ursprung im Besatzungsrecht nach dem Zweiten Weltkrieg haben. Auch die Gründung des Bundesnachrichtendienstes (BND) war eine amerikanische Initiative, dessen Stoßrichtung sich ausschließlich gegen die konkurrierende damalige Weltmacht Sowjetunion richtete. Im »Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten«, der 1955 in Kraft trat, ließen sich die Besatzungsmächte die dauerhafte Durchführung von Überwachungsmaßnahmen per Gesetz festschreiben. Seitdem verpflichtet »deutsches Recht zu engster Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten«, wie auch der Historiker Josef Foschepoth resümiert. Dies verpflichtet zum Austausch aller Nachrichten und den BND zur Weitergabe selbst personenbezogener Daten an die NSA. Auch in einem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut von 1994 wurde »eine enge gegenseitige Verbindung« festgeschrieben.

Krieg gegen den Terror zur Überwachung missbraucht

Noch weitreichendere Bestimmungen enthält das geheime Zusatzabkommen, welches als Verbalnote des Auswärtigen Amtes am 27. Mai 1968 den Allierten weitreichende Rechte in Deutschland einräumt. Dort ist vereinbart, dass »jeder alliierte Militärbefehlshaber berechtigt ist, im Falle einer unmittelbaren Bedrohung seiner Streitkräfte die angemessenen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Gefahr zu beseitigen.« Die Verbalnote hat bis heute Wirkung und kann als – Drucksache V/2942 Deutscher Bundestag 5. Wahlperiode – eingesehen werden. Aus dieser allgemeinen Schutzklausel leiten die Amerikaner noch im Jahr 2018 die flächendeckende Überwachung ab und fordern deutsche Dienste zur uneingeschränkten Kooperation auf. Diesmal nicht im Kampf gegen den Sowjetkommunismus, sondern im Krieg gegen den Terror.

Der Krieg gegen den Terror nach 9/11 wurde durch den ausgerufenen Beistandspakt des Artikels 5 des NATO-Vertrags zu einem Instrument, um jegliche Regierung unter Druck zu setzen und eine uneingeschränkte Geheimdienstzusammenarbeit einzufordern. Die sowieso eingeschränkte deutsche Souveränität wurde dadurch einem zusätzlichen politischen Druck ausgesetzt – und dies ohne jegliches »Ablaufdatum«. Der ausgerufene Bündnisfall nach Artikel 5 der NATO ist bis heute in Kraft.

»Deutschland ist bis heute ein besetztes Land«

Auch die Wiedervereinigung setzte der kompletten Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs durch die Alliierten kein Ende. Vielmehr bekräftigte die Bundesregierung, sie werde die Bestimmungen der Besatzungszeit übernehmen. Darunter solch folgenschwere Verträge wie den Aufenthaltsvertrag (US-Geheimdienste) von 1954 und Zusatzverträge zum NATO-Truppenstatut von 1959. In den Verträgen sind Geheimhaltungsgebote festgeschrieben, die selbst Bundeskanzlerin Merkel knebeln. Sollte die Kanzlerin dem Parlament oder einem Bundestagsuntersuchungsausschuss Dokumente und Informationen mitteilen wollen, die das Amtsgeheimnis eines alliierten Staates preisgeben könnten, dann ist die Kanzlerin zuvor verpflichtet, die Einwilligung der USA einzuholen. Zu diesem Fazit gelangt auch Dr. Gert R. Polli in seinem ausgezeichneten Buch Deutschland zwischen den Fronten. Polli ist Gründer des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung und gilt als exzellenter Kenner der Geheimdienstszene.

Wenn Bürger oder Musiker wie Xavier Naidoo solche Hintergründe kritisch hinterfragen und die Bundesrepublik als ein nicht souveränes, also ein besetztes Land umschreiben, dann hagelt es sogleich Diffamierungskampagnen der Mainstream-Medien. Unverdächtig ist sicherlich Dr. Gert R. Polli, der in seinem bestens recherchierten Werk zu einem gleichlautenden Fazit kommt. Auf Seite 133 heißt es: »Fazit, Deutschland ist bis heute ein besetztes Land. Mehr noch: Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass die USA im Wege ihrer vertraglich abgesicherten Zusammenarbeit mit BND und Verfassungsschutz Deutschland zu einer Drehscheibe ihrer elektronischen Aufklärung in Europa ausgebaut haben.«

»In Deutschland gilt auch US-Recht«

Eine Einschätzung, der sich der Historiker Josef Foschepoth anschließt, selbst wenn er dies nicht in aller Klarheit formuliert. Er stellt fest, in Deutschland gelte auch US-Recht und wirft der Bundesregierung vor, der Partnerschaft mit den USA einen höheren Stellenwert einzuräumen als der Verfassung und dem Recht, Edward Snowden ein Asylverfahren in Deutschland durchlaufen zu lassen. Er bezeichnet die »Sicherheitspartnerschaft« als zentralen Bestandteil der deutschen Staatsräson, die gleichsam »über Recht und Verfassung« stehe. Umso größer war der Schock der Politik über die Snowden-Enthüllungen, hatten sich die Eliten doch eingeredet, Deutschland sei zu einem Partner auf Augenhöhe aufgestiegen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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