F. William Engdahl

US-Industrie am Limit:
Militär immer abhängiger vom Ausland

Wenn es um Geopolitik geht, sind die Dinge nur selten das, was sie zu sein scheinen. Das gilt vor allem für den ausgesprochen bizarren »Krieg«, den Amerika im Frühjahr als vermeintlichen Handelskrieg vom Zaun gebrochen hat.

Angeblich geht es darum, dass Washington etwas dagegen unternehmen will, dass man Jahr für Jahr ein gewaltiges Handelsdefizit anhäuft, speziell in den Wirtschaftsbeziehungen zu China. Eigentlich gibt es keinen echten Grund dafür, dass die USA mit Strafzöllen agieren und dabei vor allem China ins Visier nehmen. Sinn ergibt das Ganze allerdings, wenn wir einen neuen Bericht der US-Regierung berücksichtigen, in dem es um die industrielle Basis der amerikanischen Rüstungsbranche geht.

Anfang Oktober veröffentlichte eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe, die vom US-Verteidigungsministerium angeführt wurde, den nicht vertraulichen Teil einer einjährigen Studie, die sich mit dem Zustand der industriellen Basis im eigenen Land befasste und mit der Rolle, welche die Unternehmen dabei spielen, das US-Militär mit wichtigen Bauteilen und Rohstoffen zu versorgen. US-Präsident Trump hatte die Arbeitsgruppe vergangenes Jahr per Präsidentenverfügung 13 806 ins Leben gerufen.

Der Bericht (»Report Assessing and Strengthening the Manufacturing and Defense Industrial Base and Supply Chain Resiliency of the United States«) stellt die erste ausführliche Analyse zu der Frage dar, inwieweit die Industrie in den USA in den vergangenen Jahren der Aufgabe gewachsen war, die Ansprüche des US-Militärs zu erfüllen.

300 Lücken ausgemacht

Schon der Teil des Berichts, der zur Veröffentlichung freigegeben wurde, ist schockierend genug. Aufgeführt sind 300 »Lücken« oder Anfälligkeiten in der militärisch-industriellen Basis. Es wird in aller Deutlichkeit das Bild einer Volkswirtschaft gezeigt, die nicht länger imstande ist, die grundlegendsten Bedürfnisse der nationalen Verteidigung zu bedienen – eine direkte Konsequenz der Globalisierung und des Outsourcings an ausländische Produktionsstätten.

Der Bericht zeichnet einen dramatischen Mangel an Fachkräften in Bereichen wie Werkzeugmaschinen, Schweißen und Ingenieurswesen auf. Unerlässliche Gerätschaften, wie computergesteuerte Werkzeugmaschinen, müssen importiert werden, und zwar vor allem ausgerechnet aus Deutschland, das derzeit nicht das allerbeste Verhältnis zu den USA hat. Viele der kleinen, spezialisierten US-Hersteller von wesentlichen Teilkomponenten belieferten in der Vergangenheit ausschließlich die Rüstungsindustrie und stehen nach einigen Jahren, die vor allem von Ungewissheiten bezüglich der US-Haushaltsplanung geprägt wurden, vor dem Aus.

Darüber hinaus ist die amerikanische Rüstungsindustrie von China abhängig, was praktisch sämtliche Seltenen Erden anbelangt. Wirtschaftliche Gründe haben dazu geführt, dass der Abbau dieser Metalle in den USA seit den 1980er-Jahren praktisch völlig zum Erliegen gekommen ist – der Abbau in China war schlicht deutlich günstiger. Heutzutage kommen weltweit 81 Prozent der Seltenen Erden, die für militärisches Gerät, Supraleiter, Smartphones und andere Hightech-Gerätschaften benötigt werden, aus China.

Gefährliche »Flaschenhälse«

Der Pentagon-Bericht ist ein Versuch, am guten Dutzend riesiger Militärkonzerne wie Boeing und Raytheon vorbei einen Blick auf die Zehntausenden von kleineren Unternehmen zu werfen, die wesentliche Teilkomponenten beisteuern. Auf diese Weise will sich die Regierung einen Eindruck davon verschaffen, wie anfällig man im Falle eines Kriegs ist.

Im Bericht heißt es: »In zahlreichen Fällen steht der einzig verbliebene inländische Hersteller von Materialien, die für das Verteidigungsministerium wichtig sind, kurz davor, sein Werk in den USA zu schließen und Material kostengünstiger von exakt jenem ausländischen Herstellerland zu beziehen, das ihn überhaupt erst zur Aufgabe seiner inländischen Produktion gezwungen hat …« Der Bericht wirft ein Schlaglicht auf potenzielle Flaschenhälse, die dadurch entstehen, dass es für bestimmte Dinge nur eine einzige Bezugsquelle gibt, seien es Propeller für Schiffe der Navy, seien es Geschütztürme für Panzer, Treibstoff für Raketen oder seien es weltraumtaugliche Infrarotdetektoren für Raketenabwehrschirme. Seit den frühen Tagen des Kalten Kriegs in den 1950er-Jahren wurde wohl kein so kritischer Blick mehr darauf geworfen, wie es um die Grundlagen der Rüstungsindustrie in den USA bestellt ist.

Im Bericht heißt es beispielsweise, dass es nur eine einzige inländische Quelle für Ammoniumperchlorat gibt, eine Chemikalie, die das Pentagon in zahlreichen Antriebssystemen einsetzt. Ebenfalls beunruhigend ist die Tatsache, dass es in den USA nur ein einziges Unternehmen gibt, das Leiterplatten herstellt, wie sie in allen elektronischen Geräten zum Einsatz kommen. Im Bericht heißt es: »Seit 2000 haben die USA einen 70-prozentigen Rückgang ihres Anteils an der globalen Produktion erlebt. 90 Prozent aller weltweit hergestellten Leiterplatten werden heutzutage in Asien gefertigt, und die Hälfte davon in China. Das hat dazu geführt, dass von den 20 wichtigsten Leiterplattenherstellern nur ein einziger seinen Sitz in den USA hat.«

Eine weitere, ebenfalls sehr wichtige Komponente sind ASZM-TEDA1-Filter, wie sie das Pentagon in 72 Arten von Schutzsystemen gegen Giftgase und ABC-Waffen verwendet. Für sie gibt es einen einzigen Lieferanten, nämlich Calgon Carbon aus Pittsburgh.

Und noch eine beunruhigende (oder nicht beunruhigende, je nachdem, auf welcher Seite man steht) Anfälligkeit tut sich bei der Versorgung mit einem wichtigen spannungsgesteuerten Switch auf. Der Halbleiterhersteller, der diesen Switch produzierte, der in sämtlichen Raketensystemen des Pentagons verwendet wird, machte 2017 dicht. Das Pentagon wurde nicht rechtzeitig informiert, um einen Ersatzhersteller zu finden, was eine Gefahr für die amerikanischen Raketensysteme darstellt. Und die Kanonen für sämtliche Panzerfahrzeuge der U. S. Army stammen vom Watervliet Arsenal im Bundesstaat New York, einer Anlage, die aus dem Jahr 1813 stammt und inzwischen in die Jahre gekommen ist.

Das Ziel ist China

Dass sich amerikanische Rüstungsunternehmen bei wichtigen Bauteilen dermaßen stark vom Ausland abhängig gemacht haben, sei die Schuld der Volksrepublik China, heißt es in dem Bericht – also genau des Landes, welches das Pentagon in seinem aktuellsten Strategiepapier zur Verteidigungspolitik neben Russland als größte strategische Bedrohung Amerikas aufführt. So ist man von China nicht nur nahezu vollständig abhängig, was Seltene Erden anbelangt, hinzu kommt noch, dass das amerikanische Militär sehr viel mit großen Rüstungskonzernen wie Lockheed Martin arbeitet. Diese haben nämlich oftmals ihre Lieferketten an Standorte mit den günstigsten Produktionsbedingungen ausgelagert – und das ist oftmals China.

Dass sich die Regierung Trump bei ihrem Handelskrieg auf Chinas »unfaire Handelspraktiken« konzentriert, ist kein Zufall. Peter Navarro wurde vom Präsidenten damit beauftragt, für das Pentagon den Bericht über die Situation in der Rüstungsindustrie zu erstellen. Und ebenjener Navarro, der in China-Fragen als Falke gilt, zeichnet verantwortlich für die Strategie im Handelskrieg. Navarro, der den Präsidenten in Fragen der Handels- und Industriepolitik berät, hat in der New York Times einen Gastkommentar zu dem Bericht geschrieben.

Ausdrücklich weist Navarro darauf hin, dass »Produktionsengpässe drohen, sollte das Verteidigungsministerium künftig mehr bestellen«, und nennt als Beispiel geschmiedetes Aluminium, wie es bei der Panzerung von Kampffahrzeugen, beim Bau von Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen zum Einsatz kommt. Die Einfuhrzölle auf Aluminium sollen ein Wiederaufleben der amerikanischen Aluminiumfertigung anstoßen. Noch 1981 waren die USA der weltgrößte Aluminiumproduzent, was eine Folge des Weltkriegs und des Aufstiegs von Boeing und anderen Flugzeugbauern war. Rund 30 Prozent der weltweiten Produktion entfielen auf die USA. 2016 lag die US-Industrie knapp hinter Saudi-Arabien auf Rang 10 und kam unter Führung von Alcoa auf gerade einmal 3,5 Prozent Anteil am Weltmarkt. Mit satten 55 Prozent rangiert China ganz weit vorn, dahinter folgen Russland und Kanada – alles Länder, die Washington mit Aluminiumzöllen oder mit Sanktionen belegt hat.

Navarro verweist dann auf die möglicherweise größte Schwachstelle, was die Gefechtsbereitschaft für einen möglichen Krieg mit Russland und China angeht: »Eine der größten im Bericht aufgezeigten Anfälligkeiten ist der Fachkräftemangel in entscheidenden Bereichen. Amerika bildet schlichtweg nicht genügend Arbeiter für die Bereiche Forschung, Technologie, Ingenieurswesen und Mathematik aus, um alle Arbeitsplätze etwa in der Elektronik, Kernenergie und Raumfahrt zu füllen. Darüber hinaus bilden wir nicht ausreichend Maschinenschlosser, Schweißer und andere Fachkräfte aus, die unsere Schiffe, Kampffahrzeuge und Flugzeuge bauen und warten.« Die meisten Absolventen in Wissenschaftsfeldern und Ingenieurswesen stammen heutzutage aus dem Ausland – und davon sei der Großteil aus Asien – und entsprechend auch aus China.

Die Lücken stopfen

Die US-Regierung will die 300 Schwachstellen stopfen, indem sie unter anderem zu Sofortmaßnahmen greift. Wichtige Lücken in Lieferketten sollen geschlossen werden, außerdem sollen Mittel freigegeben werden, um einheimische Produktionskapazitäten für Dinge wie Lithium-Meereswasser-Akkus oder hochmoderne Treibstoffzellen für die unbemannten Unterwasserfahrzeuge aufzustocken, mit denen die Navy künftig agieren will. Außerdem soll eine Vorschrift von 1939 wieder in Kraft gesetzt werden, die sich mit begrenzt zur Verfügung stehenden strategischen und anderen wichtigen Materialien befasst, die im Ausland eingekauft werden.

Zentrale Schlussfolgerung des Berichts: »China stellt eine beträchtliche und zunehmende Gefährdung dar, was die Versorgung mit den Materialen angeht, die als strategisch wichtig und entscheidend für die Wahrung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten gelten.«

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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