Michael Brückner

Weniger Neuschulden durch doppelte Abzocke

Wer hätte das gedacht – auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, als Bundeskanzlerin Merkel und ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück vor die Presse traten und die deutschen Sparer mit falschen Versprechungen zu beruhigen suchten? Zehn Jahre später sind beinahe alle Euro-Staaten plötzlich Musterknaben, und Deutschland schreibt sogar die vielzitierte »schwarze Null«. Doch hinter diesen Jubelmeldungen steckt jede Menge Propaganda, die kaschieren soll, wie dreist gerade die Deutschen für dumm verkauft werden.

Anfang April kamen die Mainstream-Medien mit einer überraschenden Meldung heraus: Erstmals seit Einführung der Gemeinschaftswährung halten angeblich alle Euro-Länder die in den Maastrichter Verträgen vereinbarte Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ein. Nun ja, nicht ganz, tatsächlich mussten die Spanier im vergangenen Jahr noch Neuschulden in Höhe von 3,07 Prozent des BIP machen. Aber wer will da schon päpstlicher sein als der Papst? Nach offiziellen Angaben lag die Neuverschuldung 2017 in den Euro-Staaten im Schnitt bei 1,0 Prozent des BIP. Na also, geht doch, mag da mancher denken – und beruhigt aufatmen. Vor allem die Deutschen, denn seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 hat der Bund nach aktuellen Berichten mindestens 162 Milliarden Euro an Zinsen gespart.

»Der deutsche Staat hat massiv von der Eurokrise profitiert«, konstatiert denn auch Sven-Christian Kindler, Haushaltspolitiker der Grünen. So wie er denken viele in den Staatskanzleien der EU: Wenn Deutschland schon auf Kosten anderer Staaten profitiert hat, dann kann es die finanziellen Lasten durch die Flüchtlingskrise problemlos schultern. Zur Wahrheit gehört aber, dass auch Staaten wie Frankreich und Italien dank der Null- oder Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) dreistellige Milliardensummen an Zinsen sparen.

Die schleichende Enteignung

Das alles ist freilich nicht Ausdruck hoher Regierungskunst der Verantwortlichen, sondern das Resultat einer unglaublichen Abzocke zulasten der Bürger. Denn nur wenige Euro-Länder haben seit der Krise wirklich nennenswerte strukturelle Sparmaßnahmen umgesetzt. (Politiker sprechen in diesem Zusammenhang stereotyp von »Hausaufgaben«, die gemacht werden müssten.) Der deutliche Rückgang der Neuverschuldung ist in erster Linie der Nullzinspolitik der EZB sowie der guten Konjunkturlage vor allem in Staaten wie Deutschland geschuldet. Eigentlich müssten gerade die deutschen Bürger davon profitieren, denn eine brummende Konjunktur wird nicht von Angela Merkel, der Kanzlerin in der Dauerschleife, dekretiert, sondern von den arbeitenden Menschen erwirtschaftet.

Tatsächlich werden die Deutschen aber gleich in zweierlei Hinsicht abgezockt: Da Festgelder und Spareinlagen im ersten Quartal 2018 durchschnittlich gerade noch 0,20 Prozent Zinsen einbrachten, die offizielle Inflationsrate aber bei 1,5 Prozent lag, ergibt sich unter dem Strich für den Sparer ein Verlust von 7,1 Milliarden Euro allein vom 1. Januar bis 31. März. Dies haben jetzt Barkow Consulting und die Comdirect Bank errechnet. Jeder Deutsche hat nach dieser Analyse seit 2010 knapp 1000 Euro verloren – Babys und Jugendliche ohne Sparkonto mitgerechnet. Und ein Ende ist vorläufig nicht absehbar. Während Sparer in den USA inzwischen schon wieder mehr als drei Prozent Zinsen für 10-jährige US-Staatsanleihen bekommen, bleiben die Europäer nach Einschätzung von Ökonomen noch mindestens für eineinhalb bis drei Jahre auf »Nulldiät«. Das heißt: Nicht die Politiker, sondern die Sparer trugen mit ihrem erzwungenen Zinsverzicht dazu bei, dass sich die öffentlichen Etats in den Euro-Staaten in den vergangenen Jahren erholt haben.

Die Deutschen trifft der Steuerhammer

In Deutschland kommt noch ein weiterer, häufig übersehener Effekt hinzu: Nach einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zahlen die Bundesbürger besonders hohe Steuern. Kinderlose Alleinstehende werden in der Bundesrepublik mit einer staatlichen Abgabenquote (Steuern plus Sozialabgaben) von 49,7 Prozent zur Kasse gebeten. Die Belastung für diese Personengruppe ist demnach gegenüber 2016 noch einmal um 0,3 Prozent gestiegen. Damit belegt Deutschland Rang zwei unter allen OECD-Staaten. Nur Belgien greift kinderlosen Singles noch tiefer in die Tasche. Deutsche Familien werden zwar deutlich weniger stark belastet, doch liegt die Abgabenquote bei Ehepaaren mit zwei Kindern mit im Durchschnitt 34,5 Prozent immer noch deutlich über dem OECD-Mittel von 26,1 Prozent. Am wenigsten belasten Neuseeland (6,4 Prozent) sowie die Schweiz und Chile ihre Bürger.

Das bedeutet: Die aufgrund der guten Wirtschaftslage in Deutschland zuletzt gestiegenen Löhne und Gehälter kommen zu einem großen Teil über Steuern und Abgaben wieder dem Staat zugute. Zudem müssen immer mehr Rentner Steuern zahlen, weil sie aufgrund der mit großem Propagandaaufwand umgesetzten Rentensteigerungen oft die kritische Grenze überschreiten, ab der sie steuerpflichtig sind. Völlig unverständlich mutet es daher an, dass der Solidaritätszuschlag, für den es keine sachliche Rechtfertigung mehr gibt, erst ab 2021 stufenweise gesenkt werden soll.

Schuldenstand bleibt hoch

Fazit: Die Sanierung des Staatsetats haben die Deutschen mit Zinsverlusten (was bei negativen Realzinsen einer schleichenden Enteignung gleichkommt) und weit überdurchschnittlich hohen Steuern finanziert. Wobei von einer wirklichen »Sanierung« weder in Deutschland noch in den meisten anderen EU-Staaten die Rede sein kann. Denn während die Neuverschuldung gesunken ist, verharrt die Gesamtverschuldung der Euro-Staaten nach wie vor auf hohem Niveau. In Griechenland zum Beispiel bei 177 Prozent des BIP, in Portugal und Italien bei über 130 Prozent. Und auch Deutschland überschreitet mit rund 65 Prozent des BIP die vereinbarte Höchstgrenze von 60 Prozent. Und was geschehen wird, wenn die Zinsen wieder steigen oder die Euro-Zone in die nächste Rezession schlittert, daran will im Augenblick noch keiner der Gesundbeter denken.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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