Andreas von Rétyi

Wiederholte Weltgeschichte:
Neuauflage von Kubakrise & Co

Kalter Krieg und atomare Aufrüstung, die Spannung zwischen Ost und West, sie ist zurück, doch wird sie von den Kräften der Globalisierung provoziert – eine gefährliche Neuauflage der Vergangenheit.

Die »guten Zeiten« sind vorbei, das beweist auch der November 2018. Der Kalte Krieg hat sich längst selbst überholt – verdeckte und offene Gefahren bedrohen die Welt mehr denn je, viele sind Kinder aggressiver Globalisierung. Im 21. Jahrhundert brennt es wieder überall, und wieder steht Europa kurz davor, zum Kriegsschauplatz Nummer 1 zu werden. Neue Technologien haben nur mehr Bedrohungen geschaffen, scheinbare und reale – nuklearer Ausverkauf, Biowaffen und Cyberkrieg, weltweiter Terror, Migration, synthetische Krisen und Graswurzelrevolutionen, das große Geld als ewiger Motor hinter dem Irrsinn des Mehr, dazu weltanschaulicher Fantatismus. Nach den US-Zwischenwahlen wird erneut auf Donald Trump herumgehackt, während die eigentlichen Drahtzieher aktueller politischer Spannung ganz andere sind.

Mit zu den schlimmsten Kriegstreibern darf man wohl Präsidentenberater John Bolton zählen, der sich einst selbst erfolgreich vor dem Vietnamkrieg drückte. Der Mann, der 2003 den Irakkrieg mitplante, der bereits zahllosen Menschen Leid und Tod brachte, besaß die Unverschämtheit zu erklären, keine Lust gehabt zu haben, in einem südostasiatischen Reisfeld zu sterben, und der bei anderer Gelegenheit auch noch sagte, sein Leben nicht bei der Eroberung eines Landes verlieren zu wollen, das später dann ohnehin von Ted Kennedy zurückgegeben werde. Und NSA-Whistleblower Snowden, den wolle er am liebsten an einer hohen Eiche aufgehängt baumeln sehen.

Ein aufpoliertes Feindbild

Bolton vertritt radikale, aggressive militärische Positionen. 2007 sagte er: »Die USA hatten einst die Fähigkeit, in verdeckter Weise einen Sturz von Regierungen einzufädeln. Ich wünschte, wir könnten die wieder haben.« Er weiß dennoch genau, dass mächtige Handlanger genau das auch gegenwärtig tun. Zudem befindet er sich selbst immer noch genau in der richtigen Position, viel Unglück über die Welt zu bringen. Er ist der Provokateur, über den zu wenig gesprochen wird, der Mann, der die US-Aufkündigung des INF-Vertrags zur Abschaffung atomarer Mittelstreckenraketen initiierte. Das will sich Moskau nicht bieten lassen.

Dazu tragen zudem Beschlüsse der NATO bei, die auch von der Bundesregierung kritiklos übernommen werden. Demzufolge sei laut NATO Russland schuld an der Gesamtentwicklung. Regierungssprecher Steffen Seibert verwies schlichtweg auf den NATO-Gipfel 2018: In Brüssel sei beschlossen worden, der Vertragsbruch gehe auf russisches Konto, nicht auf dasjenige der USA. Nur, was war dann die US-Stationierung des Startsystems MK41 in Rumänien? Wladimir Putin erinnerte im Oktober daran, dass vom »Schutzschirm« der NATO in Rumänien ausgehend durchaus jederzeit auch nukleare Marschflugkörper gestartet werden könnten. Und so stellt sich wohl ganz legitim die Frage, wer denn hier eigentlich wen provoziert und bedroht. Seit Jahren wird gezielt das alte Feindbild wieder aufpoliert, ob nun durch das öffentliche Bild zum Giftanschlag in London oder aber zu angeblichen Wahlbeeinflussungen, ob zur Krim, Ukraine oder im Fall Syrien.

Diplomatie statt Aufrüstung

Der hochrangige russische Verteidigungspolitiker Wladimir Schamanow sieht eine angemessene Reaktion auf den amerikanischen INF-Ausstieg in der Stationierung von Mittelstreckenraketen auf Kuba. Natürlich bedarf es hierzu auch der Zustimmung des Landes. Kubas neuer Präsident Miguel Díaz-Canel wird zwar als Skeptiker jeder ausländischen Militärpräsenz beschrieben, doch bei seinem ersten Russlandbesuch unterzeichnete er mit Putin am 2. November gemeinsame Vereinbarungen zur strategischen Zusammenarbeit. Schamanow erklärte seinerseits, Kuba habe seine eigenen Interessen und sei durch US-Sanktionen verletzt worden. Er forderte jedoch sowohl Moskau als auch Washington auf, wieder zu verhandeln, sich zu einigen und zur Verständigung zurückzukehren. So zitiert ihn RIA Nowosti hinsichtlich der Aufkündigung des INF-Vetrages mit den Worten: »Wenn wir das jetzt nicht aufhalten und nicht reden, könnten wir tatsächlich ähnliche Bedingungen schaffen wie in der Kubakrise.«

Nicht alle russischen Experten glauben, dass Moskau wieder eine neue Militärpräsenz auf Kuba installieren wird. Einer von ihnen ist der Ex-Marineoffizier Konstantin Siwkow. Allerdings nennt er sehr konkrete Gründe, warum eine solche Situation nicht eintreten muss. Denn damals, in den 1960er-Jahren, »sahen wir uns gezwungen, diese Entscheidung zu fällen, denn wir hatten nicht genügend interkontinentale ballistische Raketen. Jetzt haben wir sie.«

Politische Arterienverkalkung

Das Säbelrasseln ist allerorten unüberhörbar. Independent-Autor Andreas Whittam Smith schreibt, Russland glaube, der Westen habe das Land schon immer verachtet. Es sei unwahrscheinlich, dass Moskau sich jemals von Drohungen und Sanktionen beeindrucken lasse und den Kopf einziehe. Nicht umsonst wird dort die Entwicklung von Hyperschallwaffen vorangetrieben, und man darf sich nun darüber streiten, wieweit »Pokerface« Putin blufft oder nicht. Ciaran Martin als Führungsmitglied des National Cyber Security Centre in der britischen Sicherheits- und Nachrichtendienstzentrale GCHQ erklärt, Russland sei zudem der »fähigste feindliche Kontrahent im Cyberspace«.

Smith zitiert seinerseits noch etliche offizielle Quellen, um eine zunehmend feindliche Politik Russlands herauszuarbeiten. So beruft er sich auch auf UN-Generalsekretär António Guterres, der das gegenwärtige Handeln Russlands als Indikator dafür anspricht, der Kalte Krieg sei mit voller Gewalt zurück. Zitiert wird auch Keir Giles, Experte für russischen Informationskrieg in Chatham House. Diese NGO ist auch bekannt als Royal Institute of International Affairs (RIIA), eine praktisch mit allen Organen der globalisierenden Machteliten eng verbundene Institution. Giles stellt fest, die Linie zwischen russischer Regierung, Wirtschaft und Unterwelt verschwimme. Genau solche einseitigen Feststellungen stimmen nachdenklich, machen immer skeptischer. Die westliche Berichterstattung leidet offenbar unter einer historisch bereits bekannten Form politischer »Arterienverkalkung«, durch die sich der Informationsfluss auf charakteristische Weise gefährlich verengt und keine »zweite Meinung« mehr zulässt. Diese Konformität macht Angst.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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